Neue Leitlinien: EU-Polizeiamt Europol will ethischer überwachen
>Europol hat den Einsatz von Technologien in der Strafverfolgung untersucht und eine "Methode zur ethischen Entscheidungsfindung" dafür entworfen. Ziel des Projekts ist laut dem am Freitag veröffentlichten Ergebnisbericht, Strafverfolgungsbehörden allgemein und insbesondere den eigenen Mitarbeitern einen strukturierten Ansatz zum Nutzen etwa von Systemen mit Künstlicher Intelligenz (KI) und für Big-Data-Analysen an die Hand zu geben. Die Autoren identifizieren dabei unter anderem moralische Bedenken und wägen Risiken und Vorteile einschlägiger technischer Lösungen ab. So soll sichergestellt werden, dass das Anwenden von KI & Co. "rechtmäßig und verhältnismäßig bleibt". Es gibt aber schon jetzt Kritik, dass insbesondere die Befugnisse von Europol zum Schürfen in großen Datenmengen deutlich zu weit gehen.
Konkret untersuchen die Verfasser im ersten Fall Verfahren für die Analyse von Aufnahmen aus Überwachungskameras. Dabei stellen sie Auswirkungen auf den Datenschutz einer potenziellen Verbesserung der öffentlichen Sicherheit gegenüber. Schlussfolgerung: Solche Auswertungsmethoden dürften "nur für definierte Anwendungsfälle und mit Genehmigung eines leitenden Beamten" nach einer öffentlichen Beteiligung eingeführt werden. Voraussetzung: "Die Öffentlichkeit unterstützt die Technologie weitgehend".
Dazu kommt eine KI-Risikobewertung für Fälle mit geschlechtsspezifischer Gewalt. Im Vordergrund steht dabei das Erreichen einer Balance zwischen dem Bedarf an Vorhersagewerkzeugen auf der einen sowie Fairness, Zurechnungsfähigkeit und Transparenz auf der anderen Seite. Die Beachtung dieser Werte zieht sich generell als roter Faden durch den Report. Resümee hier: "Als beste Lösung gilt eine ordnungsgemäße Entwicklung mit umfangreichen Tests und gleichzeitiger Nutzung mit dem aktuellen System sowie eine transparente Einbindung der Öffentlichkeit."
Daten-Scraping im Web ist nicht OK
Auch die Implementierung von Chatbots zum Verhindern sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet haben die Forscher unter die Lupe genommen. Dabei berücksichtigten sie vor allem einen Ausgleich "zwischen proaktivem Eingreifen und Datenschutzrechten". Ergebnis: Eine eingeschränkte Version eines solchen KI-Systems mit einer großen Altersschwelle zwischen den Gesprächspartnern sei akzeptabel.
Einen Fokus legen die Experten auch auf das Auslesen von Daten aus dem Web im großen Stil (Data-Scraping). Hier lautet ihr Resultat eindeutig: Da automatisierte Ermittlungen regelmäßig gegen die Nutzungsbedingungen von Webseiten-Betreibern und Plattformen verstießen, "ist so ein Scraping von Open-Source-Daten nicht akzeptabel".
Ferner erörtern die Europol-Beauftragten ethische und rechtliche Bedenken automatisierter Online-Ermittlungen. Hier schlagen sie einen Mittelweg zwischen "Alles ist erlaubt und verboten" vor. Abhängig von der konkreten Technologie seien unterschiedliche Schutzmaßnahmen erforderlich. Bei der automatisierten Analyse großer und komplexer Datensätze müssten Risiken einer schleichenden Funktionserweiterung gemindert und eine "verantwortungsvolle" Nutzung von Werkzeugen gewährleistet werden.
Die Fallstudien sollen laut Europol kein "endgültiges Urteil" über den "richtigen" oder "falschen" Einsatz einer Technologie liefern. Stattdessen gehe es darum, Strafverfolgungsbehörden in die Lage zu versetzen, einschlägige Methoden "in verschiedenen Kontexten anzuwenden".
Überwachungsbefugnisse sind heftig umstritten
Das Polizeiamt versteht den Bericht als "lebendes Dokument", das regelmäßig mit neuen Anwendungsfällen und ethischen Überlegungen aktualisiert werde. Durch die Förderung eines strukturierten ethischen Rahmens will die Behörde generell "das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Einsatz von Technologie durch die Strafverfolgungsbehörden stärken". Innovationen in der Polizeiarbeit müssten "weiterhin mit gesellschaftlichen Werten und rechtlichen Garantien in Einklang stehen", unterstreicht Europol.
Europol darf dank einer Verordnung von 2022 auch Daten Unverdächtiger im großen Stil auswerten. Vor allem nationale Strafverfolgungsbehörden wie das Bundeskriminalamt (BKA) oder die französische Nationalpolizei liefern Europol seit Jahren umfangreiche Datenmengen. Das in Den Haag sitzende Amt half auch Justiz- und Strafverfolgungsbehörden in Belgien, Frankreich und den Niederlanden, den verschlüsselten Kommunikationsdienst Sky ECC zu unterwandern. Der frühere EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski sah bei den Big-Data-Befugnissen von Europol Grund- und Kontrollrechte geschwächt. Er liefert sich dazu seit Jahren eine Fehde mit der Behörde.
Aktuell moniert die Koalition #ProtectNotSurveil, die von den Bürgerrechtsorganisationen Access Now, European Digital Rights (EDRi) und der Equinox Initiative for Racial Justice angeführt wird, dass eine geplante erneute Reform der Europol-Verordnung Migranten "den digitalen Krieg" erklären würde. Mit dem Entwurf der EU-Kommission würde das Amt mit der Führung des Kampfes gegen die Schleusung von Asylbewerbern beauftragt und mit größeren Überwachungsbefugnissen sowie einem deutlich größeren Budgets ausgestattet. Das Bündnis sieht darin "einen systematisch fehlerhaften Vorschlag, der nicht korrigiert werden kann". Das EU-Parlament müsse ihn ablehnen.