Angst vor großem Krieg: Miriam packt ihren Notfallkoffer, Robert will auswandern

Es ist noch gar nicht lange her, da brauchte Miriam Rädlein ein Abschiedsgeschenk für einen Kollegen, der zur Bundeswehr ging. Also suchte sie im Internet nach etwas Passendem. Sie fand ein Buch auf Amazon. Titel: „Lexikon des Überlebens. Handbuch für Krisenzeiten“.

Als das Werk bei ihr ankam, blätterte die 56-Jährige durch die Seiten. Sie fand Ratschläge, die sie zum Lachen brachten. Als Großstadtsingle solle man in Krisenzeiten Kontakt zur Landbevölkerung herstellen, stand da zum Beispiel. Oder, dass man eine Matratze aus dem Fenster werfen soll, wenn man sich aus einem brennenden Gebäude retten will. 

„Manches war witzig, anderes interessant. Eine Sache hat mir aber keine Ruhe gelassen. Im Buch hieß es, für Krisenzeiten wäre ein Notfallrucksack sinnvoll“, sagt Rädlein im Gespräch mit FOCUS online.

Rädlein hat einen Notfallrucksack gepackt

Das alles ist einige Wochen her. Inzwischen hat Rädlein, die bei einem großen Einrichtungskonzern in Berlin als Verkäuferin arbeitet, ihren eigenen „Notfallrollkoffer“ gepackt. Einige ihrer Freunde mussten schmunzeln, sagt sie. Ihr Vater, über 80 Jahre alt, konnte den Schritt nachvollziehen.

Rädleins Rollkoffer hat einen ernsten Hintergrund. Die 56-Jährige ist beunruhigt. Aufgewühlt. Skeptisch. Sie hat Angst vor einem größeren Krieg in Europa. Immerhin prophezeien Historiker, Politologen und andere Experten genau das seit Monaten.

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Sönke Neitzel, einer der renommiertesten deutschen Militärhistoriker, sprach zuletzt vom womöglich „letzten Friedenssommer“ in Deutschland. „Wir sehen eine in Bewegung geratene sicherheitspolitische Weltlage durch Putin, durch Trump. Wir sehen die Ankündigung eines großen Manövers der Russen in Belarus“, sagte er der „Bild“-Zeitung Ende März.

„Wir sehen die sehr große Angst der baltischen Staaten, dass die Russen im Zuge dieses Manövers über die Grenze kommen. Und wir sehen, dass dann wahrscheinlich die Beistandsklausel der Nato zumindest für die USA nicht mehr greift, die Abschreckung ist geschwächt.“ In Neitzels Augen muss Europa also vorbereitet sein.

Eine abstrakte Angst geht um

Viele Experten, darunter der Oberst a. D. Wolfgang Richter, finden Neitzels Aussagen unverantwortlich. Nicht nur würden sie die Bevölkerung verunsichern und Kriegspanik schüren, sie „entbehren einer nüchternen Analyse der militärischen Fähigkeiten und politischen Absichten Moskaus“, schrieb Richter in einem Gastbeitrag auf FOCUS online.

Hängen bleiben häufig aber gerade die Katastrophenszenarien. Es ist eine abstrakte Angst, die sich in den Alltag der Deutschen geschlichen hat. Frieden, Sicherheit, Wohlstand - was für viele Menschen hierzulande selbstverständlich war, ist ins Wanken geraten, und das schon vor Neitzels Warnungen.

Das zeigt ein Blick auf den Sicherheitsreport des Centrums für Strategie und Höhere Führung und des Allensbach-Instituts vom Januar 2025. Demnach sind 61 Prozent der Deutschen mittlerweile besorgt, die Bundesrepublik könne in militärische Konflikte hineingezogen werden.

„Ich buche den Urlaub dieses Jahr, weil ich nicht weiß, ob nächstes Jahr Bomben fallen“

Miriam Rädlein klingt am Telefon zwar ganz ruhig. Der Gedanke an einen möglichen größeren Krieg in Europa bereitet ihr dennoch Magenschmerzen.

Für ihren Notfallrollkoffer hat sie einen Schlafsack, Konservendosen, ein batteriebetriebenes Transistorradio, Ersatzbatterien, Medikamente, Feuchttücher, warme Kleidung für drei Tage und Campinggeschirr samt Gaskocher vorgesehen. „Manches fehlt noch, das meiste habe ich schon“, sagt sie.

Ganz anders geht Maja Bauer, die ihren richtigen Namen nicht im Internet lesen will, mit ihren Sorgen um. „Ich schaue einmal am Tag fern, um mich auf dem Laufenden zu halten“, sagt sie im Gespräch mit FOCUS online. „Mehr ertrage ich nicht.“

Bauer ist Buchhalterin und hat ihren Lebensstil ihrer Kriegsangst angepasst. Sie gibt jetzt viel mehr Geld aus als früher, sagt die 60-Jährige. Immerhin weiß sie nicht, was morgen kommt, ob sie sich das Auto oder den Computer, der ihr gefällt, dann noch leisten kann.

Oder, und daran denkt sie mit noch mehr Unbehagen: ob sie ihn bald überhaupt noch braucht. „Ich spare nicht mehr an meinen Wünschen“, sagt Bauer und man hört durchs Telefon, dass sie das ernst meint. „Anders formuliert: Ich buche den Urlaub dieses Jahr, weil ich nicht weiß, ob nächstes Jahr Bomben fallen.“

Robert will nach Afrika auswandern

Robert, der seinen Nachnamen nicht im Internet lesen will und in der Schweiz lebt, hat für sich längst eine Entscheidung getroffen. Sollte es in Europa „zur Sache gehen“, will der Ingenieur nach Afrika auswandern. Er glaubt, dort sei es sicherer. Robert besitzt eigenen Angaben zufolge zwei „Standorte“ in Kenia. In eine E-Mail an unsere Redaktion hat er mehrere Fotos eingebaut, eines zeigt ein rotes Haus mit Garten, umringt von anderen Gebäuden.

„Am Hauptstandort können wir auf mehr als 50 Kilowattstunden Strom pro Tag, genügend Wasser und Verpflegung, die wir selbst produzieren, zurückgreifen. Das Anwesen ist von einer Mauer umschlossen, was ein gewisses Gefühl der Sicherheit vermittelt“, berichtet der Schweizer. Er erklärt auch, dass er und seine Frau neben einem normalen Auto zwei Elektromotorräder als Transportmittel besitzen. 

„Diese sind so einfach aufgebaut, dass wir sie problemlos selbst reparieren können.“ Roberts Frau stammt aus einem lokalen Stamm, sagt er. Sein Umzug nach Afrika ist längst keine Zukunftsvision mehr, sondern ein Plan, den er schon bald in die Tat umsetzen wird, "wenn sich die Situation in Europa zum Schlechten wendet".

Die Orientierungslosigkeit hat zugenommen

Eine, die sich mit dem Zusammenleben von Menschen und damit auch ihren Ängsten auseinandersetzt, ist die Sozialwissenschaftlerin Katja Rost von der Universität Zürich.

„Insgesamt hat die Anomie, also das Gefühl der Orientierungslosigkeit, in westlichen Gesellschaften zugenommen“, sagt sie im Gespräch mit FOCUS online. „Viele Menschen fühlen sich überrannt und haben das Gefühl, nicht mehr hinterherzukommen. Dazu kommt, dass der soziale Zusammenhalt abnimmt.“

Familie, Nachbarschaft oder Vereine waren lange etwas, an dem man sich festhalten konnte. Heute ist die Welt brüchiger geworden, Angehörige entfremden sich voneinander, Kontakt besteht oft nur noch in unregelmäßigen Abständen oder auf große Entfernung. Rost findet: „Wir können scheinbar alles – aber uns fehlt der Orientierungsrahmen.“

Dazu kommt, dass scheinbare Gewissheiten plötzlich wegbrechen. „Viele von uns leben noch im Wohlfühlpaket der Nachkriegszeit“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. „Aus dieser Blase erwachen wir gerade durch vielfältige Entwicklungen.“

Größerer Krieg mitten in Europa? Plötzlich ein mögliches Szenario

Die geopolitische Lage dürfte definitiv dazugehören. Donald Trump ist wieder US-Präsident und Amerika richtet seine Militärstrategie neu aus. Politische Beobachter trauen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu, den Westen auf die Probe zu stellen und beispielsweise eines der Länder an der Ostflanke der EU anzugreifen.

Da ist sie also, die Angst vor einem größeren Krieg in Europa. Und es gibt Menschen wie Rädlein, Bauer und den Ingenieur Robert, die aktiv etwas dagegen tun. Das finden manche nachvollziehbar, andere unnötig oder sogar skurril.

Wenn Menschen ans Auswandern denken, Bunker bauen oder Notfalltaschen packen - dann tun sie das aus Aktionismus, meint Rost. „Man hat das Gefühl, die Lage etwas in die eigene Gestaltungsmacht zu bringen, obwohl man insgeheim weiß, dass man allein nichts dagegen ausrichten kann.“ Zumindest kurzfristig ließe sich so das Gefühl der Orientierungslosigkeit überwinden.

Miriam Rädlein hat ihren Koffer zwar gepackt. „Das stört ja keinen, ob er nun da steht oder nicht“, sagt die Verkäuferin und erzählt von ihrer Katze, die mit ihr in der Berliner Wohnung lebt. Dann wird ihr Tonfall plötzlich ernst: „Ich hoffe aber, dass ich ihn nie brauchen werde.“

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