Es gibt nun einen „gruseligen“ Weg, mit toten Angehörigen zu sprechen

James Vlahos ist der Mann, der seinen toten Vater in einen Chatbot verwandelt hat. Jedenfalls, wenn man nach der Schlagzeile der britischen „BBC“ geht. „Ich liebte meinen Vater und ich war dabei, ihn zu verlieren“, sagte er dem Sender vor knapp einem Jahr. Also begann Vlahos die Lebensgeschichte seines Vaters auf Band aufzunehmen.

Irgendwann kam er auf die Idee, das ganze in ein interaktives Tool zu verwandeln, in einen Chatbot. Vlahos, der sich sowieso für Künstliche Intelligenz (KI) begeisterte, machte aus dem Vorhaben 2019 ein Geschäftsmodell. Inzwischen können auch andere Menschen seine App namens "HereafterAI" nutzen, um mit verstorbenen Angehörigen zu kommunizieren. Zumindest in der Theorie. 

Als Bommer den Chatbot hört, sagt er etwas Erstaunliches

Es ist nicht das einzige Angebot dieser Art. Im vergangenen Jahr machte das Startup "Eternos" Schlagzeilen mit sogenannten "digitalen Zwillingen" verstorbener Menschen. Dahinter steckt generative KI, die mit Wissen gefüttert wird und anschließend eine geliebte, tote Person imitiert.

Der Deutsche Michael Bommer, unheilbar an Darmkrebs erkrankt, nutzte die Technologie von "Eternos", um seiner Frau eine digitale Kopie seiner selbst zu hinterlassen. Bommer nahm unzählige Sprachnachrichten auf, wie in der ARD-Doku „Mein Mann lebt als KI weiter“ zu sehen ist. 

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"Reichtum an Wissen zu vererben, an Erfahrung, das ist gar nicht vorgesehen. Und das ist es, was mich treibt", sagte er dem Sender. Erstaunlich ist, was er vor seinem Tod empfindet, als er eine Nachricht seines "digitalen Zwillings" abhört. Er sagt unter anderem, an seine Frau Annett gerichtet: "Ich bin hier, um dir zuzuhören, um dich zu unterstützen." Bommer ist zufrieden. "Ganz typisch. Das ist das, was ich ihr sagen würde", sagt er. Aber ob das immer so gut funktioniert?

"Deadbots" werfen ethische Fragen auf

Mit einem geliebten Menschen kommunizieren, obwohl der längst gestorben ist - das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Darauf weist auch der Soziologe Matthias Meitzler hin, der zu Tod, Trauer und eben auch den sogenannten "Deadbots" forscht. Im Gespräch mit FOCUS online macht er auf die vielen ethischen Fragen aufmerksam, die sich in diesem Zusammenhang stellen.

"Da ist einerseits der Bereich Trauer: Helfen Repräsentationen bei der Verarbeitung oder blockieren sie den Trauerprozess? Andererseits geht es um Datenschutz: Weiß die verstorbene Person, was mit ihren Informationen, Nachrichten, Sprachaufnahmen passiert? Oder konnte sie das gar nicht mitentscheiden?"

Beim Startup „Eternos“, um das sich die ARD-Doku dreht, ist zumindest der letzte Punkt geklärt. "Eine Sache, die ich aktuell nicht mache, ist KIs von Leuten zu erstellen, die bereits gestorben sind", sagt Gründer und CEO Robert LoCascio. Der Kunde entscheidet also zu Lebzeiten selbst, welche Daten er an die Firma weitergeben will. Bommer zum Beispiel hat zahlreiche Sprachnachrichten in die KI eingespeist.

Trotzdem sind "Deadbots" auch ein Geschäftsmodell. "Zugespitzt formuliert: Was ist, wenn der Chatbot die Hinterbliebenen unter Druck setzt oder Werbung für bestimmte Produkte macht? Und sie zum Beispiel dazu zwingt, das bestehende Abo zu verlängern, weil ihr Angehöriger sonst ein zweites Mal stirbt?", sagt Soziologe Meitzler. Es ist ein weiterer ethischer Kritikpunkt. 

Behindern Deadbots den Trauerprozess?

Wer schon einmal um einen geliebten Menschen getrauert hat, weiß, wie hart dieser Prozess sein kann. Überhaupt erst zu akzeptieren, dass die Person nicht mehr da ist, man sich nie wieder mit ihr austauschen kann, ist für viele Trauernde ein schwerer Schritt. Was macht es mit Hinterbliebenen, wenn es plötzlich doch wieder eine Möglichkeit zu geben scheint, mit dem Verstorbenen in Kontakt zu treten?

Meitzler sagt: "Viele Trauerbegleiter sehen KI-Chatbots, die Tote abbilden sollen, sehr kritisch. Sie sagen, das behindere den Trauerprozess. Denn um zu trauern, muss ein Mensch erst realisieren, dass die geliebte Person nicht mehr da ist, und zwar endgültig nicht mehr da ist." 

Allerdings kann ein Chatbot in manchen Situationen auch helfen, Todesfälle zu verarbeiten. Zum Beispiel, wenn ein Mensch plötzlich aus dem Leben gerissen wurde, etwa durch einen Unfall, und sich die Hinterbliebenen nicht verabschieden konnten. "Durch die Kommunikation mit der virtuellen Person können sie noch etwas loswerden und bekommen dann ein Feedback, das sehr stark an die verstorbene Person erinnert", so Meitzler.

Und es gibt noch einen weiteren Fall, in dem Deadbots bereichernd sein können: Wenn sich die verstorbene Person und die, die mit ihr spricht, im echten Leben nie kennengelernt haben. Imitiert der Chatbot zum Beispiel einen Urahnen, der die eigene Familiengeschichte erzählt, dann kann das lehrreich und inspirierend sein. "In manchen Museen kann man auf diese Weise sogar mit Zeitzeugen interagieren, zum Beispiel mit Holocaust-Überlebenden", sagt Meitzler.

Deadbot-Anwendungen im Ausland

Anwendungen, über die Hinterbliebene sich mit Verstorbenen unterhalten können, gibt es einige - aber keine kommt aus Deutschland. Die Digital Afterlife Industry sitzt hauptsächlich in den USA, in Asien oder Großbritannien. Meitzler vermutet, dass das mit mehreren Punkten zusammenhängt. 

Einerseits dem strengen Datenschutz in Deutschland, andererseits den innovativen Köpfen, die die dafür nötigen Netzwerke eher im Ausland finden als in Deutschland. "Außerdem habe ich in meiner Forschung gemerkt, dass die Skepsis mit Blick auf "Deadbots" hierzulande sehr hoch ist. Viele Menschen finden das einfach gruselig und wollen nichts damit zu tun haben", sagt der Soziologe.

Am Ende stellt sich auch die Frage, was das denn eigentlich ist, mit dem man spricht, wenn man glaubt, in Kontakt mit dem Verstorbenen zu stehen. Eine Maschine? Eine Kopie? Oder sogar das Wesen des geliebten, aber verlorenen Menschen?

"Eine KI hat kein Bewusstsein" 

"Eine KI lernt durch Algorithmen aus vorgelegten Daten. Sie hat kein Bewusstsein, aber kann immer überzeugender so tun, als hätte sie eines", sagt Meitzler. In seinen Augen kommt es auch darauf an, was Menschen in einer Technologie sehen und welche Fähigkeiten sie ihr zuschreiben.

Außerdem bräuchte man aktuell sehr viele Daten, um einen Menschen überzeugend durch einen Avatar zu simulieren. "Die gibt es aber in den meisten Fällen noch nicht", so Meitzler. Mit Verstorbenen zu reden, mag also vielleicht möglich scheinen. Das Wesen der Person kann eine KI aber nicht abbilden. Zumindest noch nicht.

Katarzyna Nowaczyk-Basińska, Co-Autorin einer aktuellen Studie am Leverhulme Centre for the Future of Intelligence (LCFI) der Universität Cambridge, sagte dem "Guardian" im vergangenen Jahr: "Wir haben es mit einem riesigen technokulturellen Experiment zu tun. Wir brauchen viel verantwortungsvollere Schutzmaßnahmen, denn es steht viel auf dem Spiel – die Art und Weise, wie wir den Tod verstehen und erleben und wie wir uns um die Toten kümmern."

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