Vor 20 Jahren: heise online legt sich mit der Musikindustrie an

Es kam, wie es kommen musste: Als er am 28. Januar 2005 eine strafbewehrte Abmahnung von acht gemeinsam auftretenden Musikindustrie-Konzernen in seinem Fax-Eingang vorfand, war Heise-Verlagsjustiziar Joerg Heidrich nicht sonderlich überrascht. In den Augen der Konzernlobbyisten hatte heise online sie über Gebühr provoziert, was Heidrich bereits geahnt hatte. Sie konnten es wohl nicht auf sich beruhen lassen.

Was war geschehen? In alle Kürze: Das IT-News-Portal hatte es gewagt, im Rahmen seiner Online-Berichterstattung über die Software AnyDVD die Homepage des Herstellers Slysoft zu verlinken. Damit habe man, so die Argumentation in der Abmahnung, gegen das Urheberrecht verstoßen. Denn AnyDVD diene dazu, den DVD-Kopierschutz zu umgehen und sei damit rechtswidrig. Indem heise online einen Link zur Hersteller-Homepage setze, unterstütze der Verlag Heise die Verbreitung dieser rechtswidrigen Software.

Link unzulässig

Als die Kanzlei Waldorf Rechtsanwälte damals die Abmahnung für die acht Musikindustrie-Unternehmen versandt hatte, ahnte dort wahrscheinlich niemand, dass damit ein sieben Jahre dauernder Rechtsstreit seinen Anfang nahm. Der Verlag ging auf die Forderungen nicht ein, sondern bestand in seiner Erwiderung darauf, im Sinne der Link- und Pressefreiheit Slysoft weiterhin verlinken und die Funktionsweise der Software beschreiben zu dürfen.

Nach dem Antrag einer Einstweiligen Verfügung am Landgericht (LG) München I ging es ins Verfügungsverfahren. Vor genau 20 Jahren, am 7. März 2005, verkündete das LG München sein Urteil: Die Berichterstattung in dem Artikel sei zwar rechtlich zulässig, nicht jedoch das Setzen des Links zum Hersteller der Kopiersoftware. Folglich hatte das Landgericht den Verlag dazu verurteilt, den Verweis zur Website von Slysoft zu entfernen.

Nach Erinnerung des damals in die Berichterstattung zum Fall involvierten Autors dieser Zeilen war der Chefredaktion von heise online und auch der Verlagsleitung spätestens an dieser Stelle klar, dass es sich hier um einen Präzedenzfall handelt, der bis zum Ende ausgefochten werden muss: Es ging darum, ob künftig noch ohne Schere im Kopf Hyperlinks auf Webseiten gesetzt werden können. Müsse man befürchten, für verlinkte Inhalte in Haftung genommen zu werden, setze man im Zweifel eben keine Links, was dem Funktionsprinzip des WWW zuwider laufe und das Web informationsärmer sowie unbequemer zu nutzen mache.

Transparente Dokumentation

Außerdem wünschte sich die Chefredaktion, dass diese Grundsatz-Auseinandersetzung transparent und öffentlich abläuft. Jeder Interessierte sollte die Argumentationslinien beider Seiten nachlesen können, um sich seine eigene Meinung bilden zu können. Deshalb kam es zu einer bislang wohl einmaligen Übereinkunft. Sowohl die Kanzlei Waldorf Rechsanwälte als auch die vom Verlag beauftragte Kanzlei Taylor Wessing gestatteten, dass heise online jeden Schriftsatz zeitnah publizieren durfte.

Deshalb entstand eine nahezu vollständige Dokumentation des Rechtsstreits durch die Instanzen, der (im alten heise-online-Layout) noch heute hier nachzuverfolgen ist:

  • Dokumentation: Heise versus Musikindustrie

Nach fünf Jahren Verfahren durch die Instanzen mit einigen verlorenen Urteilen gelang es dem Verlag, die Revision vorm Bundesgerichtshof (BGH) als höchstem deutschen Gericht zu erzwingen. Der erste BGH-Zivilsenat bestätigte am 14. Oktober 2010 die Rechtsauffassung des Verlags schließlich. Links seien im Rahmen der Online-Berichterstattung auf fremde Inhalte von der Presse- und Meinungsfreiheit umfasst, wenn sie "einzelne Angaben des Beitrags belegen oder diese durch zusätzliche Informationen ergänzen sollen". Der Grundrechtsschutz umfasse die Meinungs- und Pressefreiheit in sämtlichen Aspekten: "Er erstreckt sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Meinungsäußerung oder Berichterstattung; zum Recht auf freie Presseberichterstattung gehört gleichfalls neben der inhaltlichen die formale Gestaltungsfreiheit."

Als "klares Signal für die Pressefreiheit" kommentierte Christian Persson, der damalige Chefredakteur von c’t und heise online, die Entscheidung des Gerichts: "Hyperlinks sind essenzieller Bestandteil von Texten im WWW und ihr eigentlicher Mehrwert gegenüber Artikeln in Zeitschriften." Die Musikindustrie ließ dennoch nicht locker und legte Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil ein. Am 31. Januar 2012 lehnte das Bundesverfassungsgericht diese Beschwerde ab, schloss sich der Auffassung des Verlags an und beendete damit den Rechtsstreit endgültig.

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