Geschickt errichten die Taliban jetzt eine Falle für den Abschiebekanzler Merz

Vor wenigen Tagen verkündete der wahrscheinliche nächste Kanzler: Die neue Regierung werde „schon am ersten Tag die Grenzkontrollen massiv ausbauen“ und es werde „Zurückweisungen, auch bei Asylgesuchen“ geben, zudem Abschiebungen nach Afghanistan.

Die Migrationswende in Deutschland kommt, versprach CDU-Chef Friedrich Merz nach den erfolgreichen Sondierungen mit der SPD. Und plötzlich wittern in Fernost ganz andere Akteure ihre große Chance – und äußern „Wünsche“ an Deutschland und Merz. 

Merz fordert Verhandlungen mit den Taliban 

Für das Taliban-Regime in Kabul ist die wohl bevorstehende deutsche Migrationswende das Fenster der Gelegenheit, wonach sie seit der gewaltsamen Machtübernahme am 15. August 2021 suchen. Seit der abrupten Beendigung des 20-jährigen Nato-Einsatzes ist die politische Zukunft des Landes ungewiss. 

International ist Afghanistan isoliert. Kein Staat weltweit hat das Taliban-Regime offiziell anerkannt – auch die Vereinten Nationen nicht. Dass Merz sich nun ganz anders geriert als Noch-Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) oder Noch-Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ist den afghanischen Machthabern nicht entgangen. 

Die Aussagen des CDU-Chefs in den TV-Duellen vor der Wahl sind offenbar bis nach Kabul vorgedrungen. Merz forderte mehrfach Verhandlungen mit den Taliban, um mehr Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen. 

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Ebenso ist der Beschluss im gemeinsamen Ergebnispapier von SPD und Union in Kabul aufmerksam zur Kenntnis genommen worden. Darin steht eben auch, dass die Aufnahmeprogramme für Afghanen beendet werden sollen und Abschiebeflüge nach Syrien und Afghanistan ausgebaut und zügig aufgenommen werden. Auch der Familiennachzug wird ausgesetzt. 

Taliban-Sprecher richtet drei Wünsche an Deutschland 

Zabihullah Mujahid, Sprecher der Taliban, hat diese Gelegenheit nun beim Schopfe gepackt und versucht, Merz in die Falle zu locken. Im Interview mit RTL/ntv lud er jüngst Vertreter der Bundesrepublik zu einem Besuch nach Kabul ein. Man sei bereit, rückreisewillige Afghanen und auch Straftäter aufzunehmen. 

„Wir haben den Wunsch an diese Regierung, ernste Schritte bei der Wiederaufnahme der deutsch-afghanischen Beziehungen zu unternehmen und auf hoher politischer Ebene eine Reise nach Afghanistan anzutreten“, sagte Mujahid und lud Regierungsvertreter Deutschlands ein, „die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan vor Ort zu studieren und mit unserer politischen Führung Gespräche abzuhalten“.

Ein Mädchenschule in der Hauptstadt Kabul Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

Auf die Frage, welche Forderungen die Taliban an die deutsche Politik haben, nannte Mujahid drei Wünsche:  

  1. „Mein erster Wunsch ist, dass die deutschen Politiker und die Regierung verstehen, dass wir als Islamisches Emirat Afghanistan gute Beziehungen mit Deutschland wollen. Wir möchten zwischen beiden Ländern die historischen Beziehungen erneuern.“
  2. „Mein zweiter Wunsch sind gute diplomatische Beziehungen, von denen beide Seiten profitieren.“
  3. „Mein dritter Wunsch ist, dass das deutsche Volk seine Politiker ermutigt, mit Afghanistan wieder Beziehungen aufzunehmen.“ 

Regime in Afghanistan ringt um internationale Anerkennung: „Dies ist ihr wichtigstes Ziel“ 

Die Wünsche des Taliban-Mannes verfolgen allesamt dasselbe Ziel, meint ein Experte. 

Die Taliban ergreife jede Möglichkeit, um eine internationale Anerkennung zu erreichen, sagt Conrad Schetter, Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), im Gespräch mit FOCUS online. 

„Dies ist ihr wichtigstes Ziel“, sagt der Konfliktforscher. „Deutschland spielt aufgrund seines Gewichts innerhalb der EU eine besonders wichtige Rolle, um diesen Wunsch zu erreichen.“ 

Der Regierungswechsel und der neue, harte Migrationskurs, den Merz einschlagen will, kommen dem Regime entgegen. Dabei kehren die Herrscher in Kabul jedoch das Momentum um und erhöhen den Druck auf Merz. Sie sagen: Afghanen könnten „jederzeit zu uns und in ihre Heimat zurückkehren“, so Mujahid zu RTL/ntv. Und dann schiebt er direkt die Bedingungen der Taliban hinterher. 

„All das bedarf aber eines offiziellen Mechanismus und Absprachen, damit die normalen Rückkehrer von den Straftätern getrennt bleiben, die Rechte der normalen Rückkehrer vor Ort beachtet werden und juristisch mit den Straftätern korrekt verfahren werden kann.“ Mit Blick auf die Zahl von Rückführungen sagte Mujahid: „Wir sind zu allem bereit, es bedarf aber eines offiziellen Mechanismus, der über das Außenministerium geht.“ 

Vorschlag hat für Merz einen Haken

Das Regime knüpft die Rücknahme ihrer Landleute also an Bedingungen. Das ist der Haken an dem Vorschlag. Für Merz ist das Dilemma und Chance zugleich. Zum einen könnte er einem seiner Wahlversprechen, wieder mehr Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen, einen wesentlichen Schritt näherkommen. 

Auf der anderen Seite muss er dafür offizielle diplomatische Kontakte zwischen Deutschland und dem Taliban-Regime aufnehmen – und dafür darüber hinwegsehen, dass Frauen- und Menschenrechte in Afghanistan noch immer nicht garantiert sind. Für Merz könnte das zum Drahtseilakt werden, die Werte, für die Deutschland steht, nicht zu verraten und gleichzeitig aber Fortschritte im Bereich Abschiebungen zu erzielen. Zudem sind Abschiebungen nach Afghanistan wegen der dortigen Sicherheitslage weiter umstritten. 

Merz´ Ausweg aus der Taliban-Falle 

Für den Kanzler in spe ist also Vorsicht geboten. Afghanistan-Kenner Schetter betont: „Eine Anerkennung der Taliban sollte nur abgestimmt im Konzert mit anderen westlichen Ländern – vor allem mit der EU, England und den USA – geschehen“. 

Außerdem sollte eine Anerkennung an klare Bedingungen bezüglich Frauen- und Menschenrechte gekoppelt sein, sagt Schetter. Er kann sich vorstellen, dass durch vertrauensbildende Maßnahmen erste Schritte zur Anerkennung der Taliban erfolgen könnten. Solch ein Prozess würde dem Experten zufolge allerdings Jahre dauern „und sollte nicht übers Knie gebrochen werden“.  

Hier besteht also eine Gefahr für Merz, übereifrig zu handeln. Darauf scheinen die Taliban jetzt zu hoffen. 

Mit ihrer Offerte versuchen die islamischen Herrscher auch, von der Lage ihrem Land abzulenken.  Schetter mahnt: „Wir müssen genau beobachten, ob die Taliban gerade bei dem Thema Frauenrechte zu Zugeständnissen bereit sind, ohne dabei ihr Gesicht zu verlieren.“ Wichtige Anknüpfungspunkte wären aus seiner Sicht Themen wie Schulbildung oder der Zugang von Frauen zu Gesundheitseinrichtungen.  

Zentral sei zudem, dass gerade bei Abschiebungen Sicherheitsstandards in den Herkunftsländern gewährleistet werden müssen. „Dies ist bei der gegenwärtigen Taliban-Regierung kaum gegeben.“ Der Konfliktforscher betont aber, dass „sich das Gewaltniveau in Afghanistan in den letzten Jahren durchaus verbessert hat“. 

Frauen werden weiterhin teils brutal unterdrückt 

Dennoch: Seit ihrer Machtübernahme haben die Taliban Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung ab der sechsten Klasse, zu zahlreichen Arbeitsmöglichkeiten und zu vielen öffentlichen Räumen verwehrt. Erst im August vergangenen Jahres erließ das Ministerium für „Sitte und Tugend“ Gesetze, die Frauen verpflichten, ihr Gesicht außerhalb des Hauses zu verschleiern. Sie dürfen in der Öffentlichkeit nicht laut sprechen und das Haus nur in Begleitung eines „mahram“ - eines nahen männlichen Verwandten - verlassen. 

Wie aus dem Länderbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hervorgeht, gibt es Berichte über Frauen, die von den Taliban verhaftet und gefoltert wurden, wenn sie ohne nahen männlichen Verwandten unterwegs waren. 

In jüngster Zeit haben die Taliban außerdem verfügt, dass Häuser keine Fenster mehr haben dürfen, die den Blick auf Räume freigeben, in denen sich Frauen aufhalten. Bereits seit 2022 ist es Afghaninnen verboten, Sportstätten, Schönheitssalons oder Freizeitparks zu betreten. 

In dieses Bild passt: Im Januar stellte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Haftbefehlsanträge gegen Hibatullah Achundsada, den religiösen und politischen Anführer des Taliban-Regimes, sowie gegen den obersten Richter der Taliban. Beiden wird die systematische Unterdrückung und Verfolgung afghanischer Frauen und Mädchen zur Last gelegt. 

Merz kann nun darüber hinwegschauen – oder ernsthaft etwas bewegen. 

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