"Toxische Kombination“: Jetzt hat Putin ein Problem, das er nicht mit Waffen lösen kann
Der Handelskrieg zwischen USA und China eskaliert, Donald Trumps Hin und Her bei den Zöllen überzieht die Weltwirtschaft mit dem Pesthauch der Rezession, der US-Dollar taumelt – aber eine einzige Währung scheint plötzlich Kraft zu tanken: Der russische Rubel hat seit Jahresbeginn um 28,7 Prozent gegenüber dem Greenback zugelegt.
Bekam man an den Devisenbörsen am 1. Januar 113,71 Rubel für den US-Dollar, waren es am 21. April nur noch 81,09 Rubel.
Im außerbörslichen Handel, also bei bilateralen Transaktionen etwa zwischen einer russischen Bank und einem internationalen Rohstoffhändler, legte der Rubel gegenüber US-Dollar laut Bloomberg seit Jahresanfang gar um 38 Prozent zu. Damit ist er der Währungs-Spitzenreiter des Jahres 2025.
Die Zugewinne des Rubels übertreffen sogar die des Goldes, das in diesem Monat inmitten geopolitischer Turbulenzen Rekordhöhen erreicht hat, so Bloomberg weiter.
Wie ist diese Entwicklung einer Währung zu erklären in einem Land, das seit drei Jahren Krieg gegen die Ukraine führt und deshalb massiven Handelssanktionen des Westens ausgesetzt ist? Und ist die Rubel-Stärke für Russland positiv?
Moskau erzwingt künstliche Rubel-Nachfrage
Für die Aufwertung der russischen Währung, die den Auslands-Urlaub vieler Russen deutlich erschwinglicher macht, gibt es mehrere Faktoren.
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Allen voran stehen strikte Kapitalverkehrskontrollen: Moskau verhindert seit Beginn des Krieges mit scharfen Maßnahmen Kapitalabflüsse. Unternehmen und Privatpersonen dürfen nur eingeschränkt Geld ins Ausland überweisen.
Deviseneinnahmen von Exportfirmen, allen voran Energieunternehmen, müssen zum großen Teil in Rubel umgetauscht werden. Das stärkt die Nachfrage nach dem Rubel und stabilisiert den Kurs – aber in einer künstlichen Form.
"Im Gegensatz zu vielen Schwellenländerwährungen ist der Rubel keinem Kapitalabfluss ausgesetzt, der durch den Rückzug globaler Anleger aus riskanteren Anlagen verursacht wird", zitiert Bloomberg Sofya Donets, Ökonomin bei T-Investments: "Kapitalkontrollen haben Russland weitgehend davor geschützt."
Ein weiterer Faktor: Durch westliche Sanktionen und die Abwanderung westlicher Firmen importiert Russland deutlich weniger. Dadurch wird weniger ausländische Währung benötigt, weil kaum noch im Ausland eingekauft wird. Der reduzierte Import stabilisiert den Außenhandelsüberschuss und hält den Rubel im eigenen Land.
Höchster Leitzins seit 20 Jahren
Nächster Punkt: Die russische Zentralbank hat stützend eingegriffen. Sie erhöhte den Leitzins im Oktober auf 21 Prozent. Das ist der höchste Stand seit 20 Jahren. Dadurch wird weniger Geld ausgegeben, die Leute sparen das Geld und die Inflation geht zurück.
Aber gelingt das dauerhaft? Im ersten Jahr des Krieges gegen die Ukraine lag die Geldentwertung noch bei 13,8 Prozent. 2023 fiel sie laut russischer Zentralbank auf 5,9 Prozent.
Doch 2024 kletterte sie erneut auf 8,5 Prozent und stieg von Januar bis März 2025 kontinuierlich von 9,9 über 10 auf 10,1 Prozent. Die hohen Staatsausgaben für den Krieg und zugleich die Schwäche der Wirtschaft, nicht zuletzt hervorgerufen durch einen Mangel an jungen männlichen Arbeitskräften, sind Ursachen für diese Entwicklung.
Trump-Effekt beflügelt den Rubel
Positiv für Russland macht sich der Trump-Effekt bemerkbar: Der damalige Kandidat hatte im Wahlkampf vollmundig einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine angekündigt, sobald er im Amt sei. Das ließ Anleger an einen bevorstehenden Honeymoon glauben und beflügelte den Rubel.
Hingegen hatte Amtsvorgänger Joe Biden noch im November neue Finanzsanktionen gegen Russland verhängt. Dadurch fiel der Rubel auf seinen niedrigsten Stand seit etwa zweieinhalb Jahren, für einen Dollar bekam man an den Börsen 103,7 Rubel. Der Rubel-Aufschwung unter Präsident Trump gleicht diesen Absturz teilweise wieder auf.
Starker Rubel schadet der Wirtschaft
Und wie immer kommen Vorteile an der einen Stelle mit Nachteilen andernorts: Die Stärke des russischen Rubels schadet der russischen Wirtschaft, weil die Energieexporte – vor allem Öl und Gas –fast ausschließlich in Fremdwährungen abgerechnet werden, vor allem in US-Dollar und zunehmend in chinesischen Yuan. Ein starker Rubel bedeutet, dass bei gleichem Verkaufspreis in Dollar weniger Rubel in die russischen Kassen fließen.
Zwar verdient Russland trotz westlicher Sanktionen weiterhin an seinen Rohstoffexporten: Öl und Gas werden insbesondere an China, Indien und andere Schwellenländer verkauft. Das sichert ständig Einnahmen.
Die Schattenseite: Russland muss diese Exportgüter zu deutlich niedrigeren Preisen als vor dem Krieg verramschen. Vor dem Krieg verkaufte Russland sein Ural-Rohöl nahe am Weltmarktpreis von Brent-Öl, dem Referenzpreis für Europa.
Seit dem Ukrainekrieg haben die G7-Staaten und die Europäische Union den Preis für russisches Öl auf 60 Dollar pro Barrel gedeckelt. Zwar umgeht Russland diesen Preisdeckel immer wieder, etwa durch den Verkauf über Schattenflotten und Drittpartner. Aber trotzdem verliert Russland unterm Strich massiv an Einnahmen.
Denn Moskau ist gezwungen, das schwarze Gold an die neuen, weniger zahlungskräftigen oder, wie im Falle Chinas, zahlungswilligen Abnehmern mit hohen Rabatten zu verkaufen, um es überhaupt loszuwerden.
Peking wie Delhi nutzen Russlands Zwangslage aus und zahlen 20 bis 30 Prozent unterhalb des Weltmarktpreises. Zugleich sind Russlands Transportkosten höher, weil der Verkauf von Öl per Tanker nach Asien viel aufwendiger ist und langsamer funktioniert als per Pipeline nach Europa.
Starker Rubel und fallender Ölpreis: „Eine toxische Kombination“
Mit einem starken Rubel lassen sich im Ausland Rohstoffe, Waren und Dienstleistungen preiswerter einkaufen. Doch die auf Export fokussierte russische Wirtschaft ist mehr am Export von Öl und Gas interessiert, und das, was es gern an Maschinen oder High-Tech in Europa, den USA oder Japan und Taiwan kaufen würde, unterliegt den Sanktionen des Westens.
So wird der starke Rubel zur Belastung, während zugleich der Ölpreis global sinkt. Wurden im April 2024 rund 89 Dollar pro Barrel gezahlt, sind es aktuell nur 68,41 Dollar.
Von einer "wirklich toxischen Kombination aus einem fallenden Ölpreis und einem starken Rubel", spricht deshalb Vasily Astrov, Russland-Experte des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), gegenüber der Zeitung "Welt".
Üblicherweise führe ein Ölpreisverfall zu einem niedrigen Rubelkurs, was dann die geringeren Deviseneinnahmen aus dem Export bei den Rubel-Einnahmen kompensiere.
"Die jetzige Situation aber macht es wirklich besonders gefährlich für das russische Budget", so Astrov. "Wenn sich an dieser Kombination nichts ändert, ist ein Budgetdefizit von drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung durchaus möglich".
Putins Dilemma: Abwertung oder Inflation
Darum dürfte Russland eine Abwertung des Rubels anstreben. Aber wie? Der Verkauf der eigenen Währung an den Devisenbörsen würde das gerade wieder gestiegene Vertrauen von Investoren in die Währung erschüttern. Der andere Weg, nämlich die deutliche Senkung des Leitzins, würde die Inflation im Land wieder ankurbeln.
Für Putin gibt es erkennbar keinen Königsweg. Und die spektakuläre Aufwertung des Rubels entpuppt sich nicht als Zeichen wirtschaftlicher Stärke, sondern als Folge staatlicher Interventionen und eines Handelsüberschusses, der nicht durch normale Marktmechanismen entsteht.
In einem freien Marktumfeld und mit offenen Kapitalmärkten wäre der Rubel angesichts von Krieg, Isolation, Sanktionslast und Schrumpfung der russischen Wirtschaft vermutlich deutlich schwächer.
Im Grunde kann Putin jetzt nur noch darauf setzen, dass ihm Trump zur Hilfe kommt und die Ukraine zu einem Frieden weitgehend zu den Konditionen Moskaus zwingt.
*Der Beitrag wird veröffentlicht von The European. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
Über den Autor: Ansgar Graw
Ansgar Graw ist seit März 2020 Herausgeber des Debattenportals "The European". Zuvor war der studierte Historiker und Politikwissenschaftler 22 Jahre in wichtigen Positionen für die Tageszeitung DIE WELT tätig, darunter acht Jahre als politischer Chefkorrespondent in Washington D.C. Graw ist Autor erfolgreicher Bücher, darunter „Die Grünen an der Macht. Eine kritische Bilanz“. Soeben erschien sein Buch „Die Ära Trump. Chancen und Risiken für Amerika und die Welt“.