Gastbeitrag von Leslie Mandoki: Wir sind im Labyrinth der Krisen - gehen wir es mit Zuversicht an
Meine Gedanken zu Ostern wollte ich dieses Jahr mit einem Youtube Video über dieses Labyrinth der Krisen, in dem wir uns befinden, und wofür Glaubwürdigkeit durchaus einen wichtigen Kompass darstellt, teilen. Doch anscheinend haben wir in der Politik neben all den anderen krisenhaften Themen nun auch noch ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Saskia Eskens Selbstüberhöhung
Man könnte meinen, die Wahlsiegerin heißt Saskia Esken, die in ihrem eigenen Wahlkreis, wo ihr politisches Wirken am besten bekannt ist, satte 12,5% Zustimmung erlangen konnte. Das lässt dann sicherlich das historisch schlechteste Wahlergebnis der Geschichte ihrer Partei vergessen, das immerhin bei 16,4% lag. Ja, es ist wahrlich bitter. Doch umso süßer schmeckt dann sicherlich der Sieg, dafür 7 Ministerposten zu holen und damit 664 Milliarden Euro des Staatshaushaltes zu kontrollieren, im Gegensatz zur CDU, die nur 100 Milliarden kontrolliert.
Also lasst uns hoffen, dass die Selbstüberhöhung von Saskia Esken und ihre so stark ausgefallene demokratische Legitimation nicht dazu führt, dass sie nun glaubt, mit den gleichen Konzepten und identischen, bisher gescheiterten Methoden andere und sogar bessere Ergebnisse zu erreichen. Auch Katrin Göring-Eckardt hatte mit der herausragenden demokratischen Legitimation von 3,1% Zustimmung im eigenen Wahlkreis schon einmal geglaubt, uns die Welt erklären zu können.
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Wir haben jetzt lernen dürfen, dass vieles nur vor den Wahlen galt. Und völlig unabhängig davon, was aus welchem Blickwinkel falsch und was richtig ist, glaubten viele einfach den Ausführungen von Friedrich Merz, wonach die Schuldenbremse eine im Grundgesetz verankerte, generationsgerechte Angelegenheit der Solidität sei, und der Haushalt lediglich neu-priorisiert aufgestellt werden müsse. Doch die Halbwertszeit dieser Aussage war nur kurz.
CDU und SPD: Koalitionsverhandlungen ohne Vision
Und im SPD-Wahlprogramm stand dezidiert die Nicht-Lieferung von Taurus Marschflugkörpern. Doch unser zukünftiger Kanzler möchte gerade mit diesem Taurus die Kertsch Brücke zwischen Russland und der Krim zerstören lassen, und die ehemalige Umwelt- und Pazifistenpartei jubelt dem zukünftigen Kanzler dabei zu und ruft bei den Ostermärschen auf, mit Waffenlieferungen nicht kritisch zu sein.
Da sehen wir jetzt nach den Ostertagen spannenden Zeiten entgegen. Also, gehen wir es mit Zuversicht an und hoffen wir, dass bei diesem kleinen Schlagabtausch zwischen Vertrauensverlust und Glaubwürdigkeit, letztere den Sieg davonträgt. Denn schlussendlich ist eine der deutschen Grundtugenden, das zu sagen, was man tut und dann auch das zu tun, was man gesagt hat. Und vielleicht wäre es auch eine der demokratischen Grundtugenden gewesen, nur das zur Wahl zu stellen, was man dann nach erfolgtem Urnengang auch zu tun gedenkt.
Bezeichnenderweise gestalteten sich die Koalitionsverhandlungen von SPD, die ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit der Gründung eingefahren hat und der Union, die immerhin ihr zweitschlechtestes Ergebnis der Geschichte errang, als ein intensives Geben und Nehmen ohne große Vision.
Schicksalsposten: Die neuen Minister
Wenn sich nun zu all den multiplen Krisen in dieser verrückt gewordenen Welt, wo die Gewissheiten so dermaßen wackelig geworden sind, auch noch der Verlust der Glaubwürdigkeit dazu gesellt, dann ist erst recht Führungskompetenz gefragt. Und da ist es sicherlich wichtig, nach der wenig ambitionierten Koalitionsvereinbarung zumindest eine ambitionierte Regierungsmannschaft zusammen zu stellen.
Lasst uns also positiv denken und mit Zuversicht hoffen, dass wenigstens bei der Verteilung der Ministerposten die Qualifikation anstelle von Quote und Proporz als Entscheidungsgrundlage ausschlaggebend sein wird und nicht wieder eine fachlich überforderte Regierungsmannschaft zusammengestellt wird, die außer in den Parteigremien niemandem gefällt. Wir sind ein rohstoffarmes Land und das einzige, was uns leistungsfähig macht, sind gebildete Menschen.
Umso bitterer ist die neue Idee des Linken-Chefs Jan van Aken. Er schlägt nämlich vor, die Hausaufgaben abzuschaffen, weil das die soziale Spaltung vertieft. Er ist nun einmal der Meinung, wenn Kinder aus bildungsfernen Haushalten nicht so gut in der Schule sein können wie Akademiker-Kinder, dann müssen die Akademiker-Kinder eben schlechter werden, Hauptsache alle sind gleich.
Nichts ist so wichtig für die Integration wie Bildung
Das ist falsch. Ich bin im real existierenden Sozialismus aufgewachsen und selbst dort hätte so ein Angriff auf das Leistungsprinzip niemals stattfinden können, zumindest nicht in der Schule. Und da er hier unausgesprochen auch Familien mit Migrationshintergrund inkludiert, in denen die deutschen Sprachkenntnisse bei Schülern oft nur unzureichend ausgeprägt sind, da sei angemerkt, lieber Herr van Aken: Nichts ist so wichtig für die Integration wie Bildung, wie wir bei vielen, vielen inzwischen leistungsfähig gewordenen Migrantenkindern freudig erleben dürfen.
Es wäre schon gut, wenn ein neuer Wirtschaftsminister im Insolvenzrecht sattelfest wäre, selbst in einer Talkshow, und vielleicht die Einsicht hätte, dass Wirtschaft nicht unbedingt geleitet und schon gar nicht gelenkt werden muss, sondern eher optimale Rahmenbedingungen braucht. Und es wäre gut, wenn ein neuer Außenminister Diplomatie als friedenstiftendes Werkzeug zur Vollendung des Interessensausgleichs ansehen würde.
Denn es ist immer ratsam, sein Gegenüber, gerade wenn es Wladimir Putin heißt, nicht zu einer 360 Grad-Wendung aufzufordern, wenn man ernst genommen werden möchte. Und ich hoffe auf einen künftigen Arbeitsminister, der versteht, dass in einer Work-Life-Balance Arbeit auch als Bestätigung von Selbstwirksamkeit, als Freude am Erreichen von Zielen, als sinnstiftende Erfüllung und Teil des Lebens begriffen werden kann und der nicht meint, für den sozialen Zusammenhalt auch Arbeitsfähige aber Arbeitsunwillige alimentieren zu müssen.
Wohnungsnot: Wir haben ein Sozialproblem
Aus meiner Sicht ist natürlich ein Minister für Arbeit und Soziales auch dafür verantwortlich, dass wir international wettbewerbsfähig bleiben. Und hier wird eine Erklärung geschuldet, wie dies funktionieren möge, bei den höchsten Energiepreisen, der begrenzten Arbeitsstundenzahl pro Jahr, den meisten Urlaubstagen und dem höchsten Krankenstand im Vergleich zu mit uns im Wettbewerb stehenden Industrieländern, darüber müssen wir reden, insbesondere in einem rohstoffarmen Land.
Als Gesellschaft müssen wir uns vielmehr einem anderen sozialen Aspekt stellen: Wenn zum Beispiel eine Krankenschwester und ein Feuerwehrmann, die beide in der Stadtmitte etwa von München, Hamburg, Frankfurt arbeiten, gemeinsam eine Familie mit drei Kindern gründen und in der Nähe ihrer Arbeitsstätten wohnen möchten, dann können sie sich mit Sicherheit von ihrem ganz normalen Gehalt als systemrelevante Teile unserer Gesellschaft keine adäquate Wohnung in diesen Städten leisten. Das ist unser Sozialproblem.
Und schließlich ist es auch Aufgabe der Politik, den Sozialstaat, diese historische Jahrhundertidee der Sozialdemokratie, wieder näher an die ursprüngliche Konzeption zu führen. Nämlich Chancengleichheit unabhängig von sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Herkunft. Zur Chancengleichheit gehört unter anderem der Zugang zu Bildung und natürlich, wenn jemand vor allem unverschuldet stolpert, dass man demjenigen solidarisch hilft, wieder von alleine aufzustehen. Dies wäre auch ein konstruktiver Ansatz für den Umgang und die Integration von so vielen Neubürgern unseres Landes.
Das Merz-Versprechen: „Nach den dunklen Tagen kommt das Licht“
Was aber Integrationspolitik angeht, da fühle ich mich besonders angesprochen. Ich bin mit 22 Jahren ohne ein Wort Deutsch zu sprechen als illegaler Einwanderer nach Deutschland gekommen. Und ich bin sehr dankbar, dass ich dieses Land kennen und lieben lernen durfte, ohne Integrationskurs, weil ich schon damals der Meinung war, dass Integration eine Bringschuld der Eingewanderten ist. Deutschland war damals verliebt in das Gelingen, strotzte vor Pluralismus und Friedfertigkeit, und zog eben Lehren aus der Vergangenheit.
Im Wahlkampf wurde ein Politikwechsel versprochen. Ob der auch wirklich kommt, werden wir jetzt sehen. In der Osterbotschaft von Friedrich Merz hieß es jedenfalls hoffnungsvoll: „Nach den dunklen Tagen kommt das Licht“. Lasst uns hoffen, lasst uns optimistisch bleiben. Und auch nicht alles schlecht reden.
Denn Deutschland steht als größte Volkswirtschaft Europas und drittgrößte der Welt noch immer gut da. Da bieten sich auch für die Zukunft durchaus Chancen. In der aktuellen europäischen Situation – ohne bedingungslose Bindung zur USA, aber mit einem schwächelnden französischen Präsident Emmanuel Macron, einem Brexit-geschädigten England mit dem vorbildlich kriegstüchtigen Premierminister Keir Starmer und der rechts-nationalen Trump-Versteherin Giorgia Meloni in Italien – könnte ein neuer deutscher Bundeskanzler Merz sogar zur neuen politischen Leitfigur in Europa werden, wenn er auf das Verbindende anstatt das Spaltende setzt.
Die Schlüsselfrage bleibt die Wirtschaft
Wenn er die Gemeinsamkeit sucht, wie große Europäer vor ihm, die aber auch einen gesunden Patriotismus mit eingebracht haben, von Willy Brandt über Helmut Schmidt und Helmut Kohl bis Gerhard Schröder, dann hat er und mit ihm Deutschland eine echte Chance.
Die Schlüsselfrage bleibt dabei natürlich immer die Wirtschaft. Denn ein Land mit so hohen Steuereinnahmen, müsste Investitionen für die Zukunft eigentlich aus dem Haushalt finanzieren können, anstatt das Geld zu verteilen, das unsere Enkelkinder erst noch verdienen müssen. Und schlussendlich ist Friedrich Merz ja auch mit dieser sinnhaften Aussage in den Wahlkampf gezogen.
Merz weiß nur zu gut, dass die hohen Staatsausgaben ein wünschenswertes Wachstum in Deutschland bremsen. Der Staat beansprucht in Deutschland fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung für sich. Damit entzieht er wichtige Ressourcen für ein stabiles Wachstum. Dies lässt sich nur eindämmen, wenn der Rotstift bei den Staatsausgaben angesetzt wird.
Wir werden sehen, was daraus wird, denn der Koalitionsvertrag verspricht zwar nicht viel, muss aber viel mehr halten.
Wir werden Zeitzeugen werden
Doch vielleicht sollten wir Nachsicht haben, weil es in der Tat so ist, dass in dieser Konstellation kein besserer Kompromiss ausverhandelt werden konnte. Denn nachdem sich die CDU/CSU im Wahlkampf auf massives Grünen-Bashing verständigte und gleichzeitig die FDP bekämpfte, hat sie sich selbst in eine missliche Verhandlungsposition gebracht. Und Lars Klingbeil hat dies für den historischen Wahlverlierer SPD mit großem politischem Gespür gekonnt genutzt.
Wir werden Zeitzeugen werden, ob sich die Koalition mit der jetzigen Regelung eine raffinierte Manövriermasse in dreistelliger Milliardenhöhe geschaffen hat, die sie für alles Mögliche verwenden kann und damit nicht nur die notwendigen Zukunftsinvestitionen tatsächlich auf Kosten unserer Enkelkinder macht, oder ob wir ein solides Regieren mit solidem Personal sehen?
Also, dann lasst uns alle hoffen und zuversichtlich sein. Diese Hoffnung müsste dann allerdings auf kompetentes Personal mit klaren Zuständigkeiten und Mut zu notwendigen Entscheidungen setzen. Denn die effektivste Verteidigung für die Demokratie ist gutes Regieren, was bedeutet, nah an der Lebensrealität der Menschen zu bleiben und dies auch glaubwürdig zu kommunizieren.
Anpacken statt Hedonismus
Lasst uns hoffen und optimistisch sein, dass wir den Kompass gemeinsam wiederfinden, der uns aus diesem Labyrinth der Krisen herausführt. Wir werden versuchen, den Soundtrack dazu zu schreiben. Wir Musiker verdanken unsere Stimme der Zuneigung unseres Publikums, so wie Politiker ihre Stimme, ihre Lautstärke eigentlich ihren Wählern zu verdanken wissen müssten und nicht den medialen Echokammern in der eigenen Filterblase. Also, raus aus der Komfortzone.
Denn bevor wir uns dem totalen Hedonismus zuwenden, lasst uns lieber die Ärmel hochkrempeln und mit Zuversicht anpacken. Anstatt jetzt schon das Geld zu verprassen, das unsere ungeborenen Enkelkinder später erst noch erarbeiten müssen, sollten wir versuchen für die nächsten Generationen eine lebenswerte Zukunft in Europa zu bauen. Wir hatten schon 1989, nachdem die Berliner Maurer ohne einen einzigen Schuss gefallen war, alle Chancen eine achtsame, menschliche Welt für die kommenden Generationen auf den Weg zu bringen.
Doch wir haben es vermasselt. Getrieben von Egoismus und Gier haben wir eine Welt geschaffen, in der Geld schneller Profit macht, als menschliche Arbeit dazu je im Stande wäre. Ohne Rücksicht darauf, ob ein Mehrwert geschaffen oder zerstört wird. Ohne Rücksicht auf Nachhaltigkeit, Umwelt, Klima und soziales Gleichgewicht in unseren Gesellschaften. So entstanden bei uns in Europa Spaltung und Radikalisierung, und wie wir leider wieder schmerzvoll lernen mussten: auch Kriege. Lasst uns hoffen, dass wir es diesmal nicht wieder vermasseln.