Nach Trumps Friedens-Deal mit Putin bleibt Selenskyj nur noch eine Option
Am Ende trifft es immer den Schwächeren. Dass das Donald Trumps Motto bei seinen Bemühungen um ein Kriegsende in der Ukraine ist, ist längst bekannt. Und so dürfte es kaum überraschen, dass der US-Präsident auch für den jüngsten Eklat den Schuldigen in Kiew fand.
Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über die territoriale Unversehrtheit seines Landes seien „sehr schädlich für die Friedensbemühungen“, polterte Trump am Mittwochabend deutscher Zeit auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social.
Es sei der Staatschef des angegriffenen Landes, nicht Aggressor Russland, der das Sterben auf dem Schlachtfeld verlängere, behauptete der 78-Jährige.
Man stehe angeblich kurz vor dem Abschluss eines Abkommens, schrieb er. Später sagte er vor Journalisten in Washington: „Ich glaube, wir haben einen Deal mit Russland.“ Aber: „Der Mann, der keine Karten zu spielen hat, sollte es jetzt endlich hinkriegen.“ Gemeint war damit Selenskyj.
Jüngster Streit entzündete sich an der Krim
Doch der Reihe nach: Trumps Schimpftirade vorausgegangen war ein Ukraine-Gipfel am Mittwoch in London, bei dem ukrainische Regierungsvertreter und europäische Verbündete mit US-Außenminister Marco Rubio hätten zusammenkommen sollen. Rubio wollte über einen „Friedensplan“ sprechen, den sein Land vorgelegt hat und der vor allem bedeutende Zugeständnisse an Moskau enthält.
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Dann kam alles, mal wieder, ganz anders. In den Medien sickerte durch, dass Trumps Vorschlag unter anderem vorsieht, dass die völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim von der US-Regierung als russisches Staatsgebiet anerkannt wird. Selenskyj protestierte lautstark – und Rubio sagte seinen Besuch in London ab.
Kurzerhand wurde der Gipfel herabgestuft zu einem Treffen mit dem Ukraine-Sondergesandten der US-Regierung, Keith Kellogg. Nennenswerte Ergebnisse gab es allem Anschein nach nicht.
Stattdessen meldete sich US-Vize JD Vance aus Washington und drohte mit einem kompletten Rückzug seines Landes von den Friedensbemühungen, falls eine der beiden Kriegsparteien Trumps jüngstem Vorschlag nicht zustimmen sollte.
Trump erpresst Kiew
„JD Vance war zwar nicht in London, dominierte die Gespräche aber dennoch“, sagt Klemens Fischer, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität zu Köln. „Seine Forderung, beide Seiten müssten einen Teil des derzeit von ihnen gehaltenen Territoriums aufgeben, ist für die Ukraine unerträglich.“
Denn während Russland sich Trumps Plan zufolge lediglich bereit erklären würde, auf die Teile annektierter ukrainischer Gebiete zu verzichten, die es noch nicht mal erobert hat, müsste Kiew rund ein Fünftel seines Staatsgebiets hergeben. Darunter die seit 2014 von Wladimir Putins Truppen besetzte Krim im Schwarzen Meer.
„Niemand verlangt von Selenskyj, die Krim als russisches Territorium anzuerkennen“, behauptete Trump zwar in seinem wütenden Beitrag auf Truth Social – doch er machte es sich damit denkbar einfach. Denn ja, formal würden nur die Vereinigten Staaten die Krim-Annexion anerkennen, doch Selenskyj müsste diesen Plan ja auch absegnen. Es wäre also eine indirekte Anerkennung.
Trumps Plan ist so angelegt, dass er sein Gesicht wahren kann.
Klemens Fischer, Professor für Internationale Beziehungen
Das wiederum ist für Kiew, wohin viele von Russland verfolgte Krim-Tataren geflüchtet sind, so gut wie ausgeschlossen. Für Selenskyj wäre es höchstwahrscheinlich politischer Selbstmord, für viele Ukrainerinnen und Ukrainer ein absolutes No-Go. Das wissen auch die USA.
Weshalb sich an dieser Stelle der Verdacht aufdrängt: Ist Trumps „finaler Plan“, wie es in US-Medien heißt, nur vordergründig ein Friedensvorschlag – und in Wirklichkeit eine Falle?
Kaum noch Handlungsspielraum für Selenskyj
„Trumps Plan ist so angelegt, dass er sein Gesicht wahren kann“, sagt Klemens Fischer. „Steigt Selenskyj ein, ist Trump der ,Messias’, der den Frieden bringt. Lehnt Kiew den Plan einseitig ab, können die USA behaupten, dass die Schuld bei der Ukraine liegt.“
Selenskyjs einzige Möglichkeit, seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen, sei es, seine Maximalforderungen nicht mehr so oft und öffentlich vorzutragen, meint der Wissenschaftler.
„Damit könnte sich die Ukraine in eine Waffenruhe retten und versuchen, im nächsten Schritt, also am Verhandlungstisch, ein besseres Ergebnis zu erzielen.“
Das sei alles, was Kiew bleibe. Denn die US-Unterstützung sei für die Ukraine nach wie vor überlebenswichtig.
„Sollten die USA als Reaktion auf das Scheitern des Trump-Plans einen völligen Rückzug durchführen, wird die Ukraine in relativ kurzer Zeit, also in Tagen, blind, taub und bewegungslos sein“, sagt Fischer. „Blind und taub, da die amerikanischen Aufklärungsergebnisse nicht mehr zugänglich wären; bewegungslos, da das Waffen- und Munitionsarsenal rasch verbraucht sein wird.“
Russland beharrt auf seinen Kriegszielen
Doch ob Russland sich überhaupt auf eine Feuerpause einlassen würde, ist weiter äußerst fraglich – und zwar nicht nur, weil Putins Armee die ukrainische Hauptstadt in der Nacht auf Donnerstag mit dem verheerendsten Luftangriff seit langem überzog.
Auch jüngste Äußerungen von Kremlsprecher Dmitri Peskow, die das Nachrichtenmagazin „Le Point“ am Mittwochabend veröffentlichte, sprechen eine andere Sprache.
Dem französischen Medium erklärte Peskow freimütig und in völligem Widerspruch zum Plan der Trump-Administration: Für einen Friedensschluss sei sein Land erst dann bereit, wenn die ukrainische Armee sich aus allen Teilen der annektierten Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson zurückziehe – und zwar auch aus den bislang von Russland nicht eroberten.
Anders als für Selenskyj gab es für die mangelnde Kompromissbereitschaft des Kremls allerdings keine Rüge aus Washington. Stattdessen will der US-Sondergesandte Steve Witkoff an diesem Freitag zu seinem mittlerweile vierten Treffen mit Putin nach Moskau fliegen.
Von Hannah Wagner
Das Original zu diesem Beitrag "„Steigt Selenskyj ein, ist Trump der Messias“: Wird der Plan des US-Präsidenten zur Falle für die Ukraine?" stammt von Tagesspiegel.