Leiterbeauftragte: Gigantische Bürokratiewelle erfasst Firmen
„Willkommen in Deutschland – Land der Dichter, Denker und Leiterbeauftragten“, sagt die Familienunternehmerin Sabine Herold ironisch. Sie ist Chefin des Familienunternehmens Delo, einem weltweit tätigen Hersteller von Industrieklebstoffen mit mehr als 1100 Mitarbeitern. In Rage gerät die Unternehmerin, wenn sie daran denkt, dass sie in ihrem Unternehmen einen Trittleiterbeauftragten benennen muss. Dieser sei schlicht überflüssig.
Haben Sie selbst ein Beispiel erlebt, bei dem die Bürokratie so zugeschlagen hat, dass Sie fassungslos waren? Und Sie möchten, dass davon auch andere erfahren? Dann schreiben Sie uns eine Mail an mein-bericht@focus.de.
Es ist ein kleines Beispiel dafür, wie Bürokratie Zeit frisst, Nerven und Geld kostet. Was auf den ersten Blick als Kleinigkeit erscheint, hat sich zur Bürde entwickelt. Denn aus vielen Detailvorschriften ist eine gigantische Bürokratiewelle für Unternehmen entstanden. Der Trittleiterbeauftragte ist dafür ein Symptom.
Gesetzlich ist Delo wie alle Unternehmen verpflichtet, Mitarbeiter zu benennen, die das Einhalten von Regeln überwachen. In Unternehmen ab 20 Mitarbeitern sind Sicherheitsbeauftragte Pflicht. Doch es gibt noch viele andere Themen: Ob Datenschutzbeauftragter, Menschenrechtsbeauftragter oder Ausbildungsbeauftragter. Für nahezu jeden Bereich schreibt der Gesetzgeber solche Zuständigkeiten vor.
Niemand soll schließlich von der Leiter fallen
In Deutschland gibt es mehr als 40 Arten von Beauftragten. Ein schier undurchdringliches Geflecht. Dass es einen Leiterbeauftragten geben muss, ist für die Unternehmerin Herold absurd. Sicher, der Gesetzgeber habe sich dabei etwas gedacht. Der Leiterbeauftragte muss in den Betrieben darauf achten, dass Trittleitern sicher und funktionsfähig sind. Die Unternehmerin beschreibt die Tätigkeit so: „Der Leiterbeauftragte muss schauen, dass die Elefantenfüße im Büro und die speziellen Leitern im Lager nicht defekt sind.“ Niemand soll schließlich von der Leiter fallen.
Natürlich hat jedes Unternehmen Interesse, Gefahren abzuwehren und Mitarbeitern keinen Risiken auszusetzen. Wenn Unfälle passieren, kommen Menschen zu schaden und die Unternehmen müssen die Kosten für den Ausfall tragen. Deshalb achteten Unternehmer schon aus Eigeninteresse darauf, Gefahren vorzubeugen. Was Frau Herold erzürnt, ist nicht nur die Vielzahl der Beauftragten. Sie hält die Vorgaben für überzogen. Zu beurteilen, ob der Elefantenfuß oder eine Sprosse wacklig sind, sei aber gesunder Menschenverstand. Das könne jeder Mitarbeiter, der eine Leiter nutzt, auch selbst übernehmen – so wie er das zuhause ja ebenfalls macht.
Am Ende des Kurses steht die Leiterprüfung
Jeder Beauftragte mehr bedeutet mehr Kosten: Der betreffende Mitarbeiter muss geschult werden. In Kursen werden die verschiedenen Leitertypen vermittelt, die entsprechenden DIN-Normen, Unfallverhütungsvorschriften und Dokumentationsanforderungen. Am Ende des Kurses steht – wie soll es anders sein – die Leiterprüfung. Und diese Schulung und die Arbeitszeit kosten. Allein bei Delo gibt es 425 beauftragte Personen. Kosten dafür: rund 600.000 Euro jährlich.
Auch bei kleineren Unternehmen kommen auf diese Weise gut und gerne ein Dutzend Beauftragte zusammen. Die Mitarbeiter müssen also einen Teil ihrer Arbeitszeit für die Tätigkeit als Beauftragter erbringen. Doch Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter in erster Linie für Forschung, Produktion, Service oder Verkauf einsetzen. Und nicht für Verwaltungsaufgaben. Doch dieser Verwaltungsbereich nimmt in allen Betrieben stark zu. Hoffnung macht, dass Union und SPD im Sondierungspapier angekündigt haben, die Zahl der Beauftragten zu senken.
70 Prozent der Unternehmen klagen über zu viel Bürokratie
Familienunternehmen machen die Erfahrung, dass sie mehr Leute für Administration einstellen müssen, um bei der Flut der Bürokratiepflichten hinterherzukommen. In Umfragen der Stiftung Familienunternehmen sagen fast 70 Prozent der Unternehmen, dass zu viel Bürokratie sie von Investitionen abhält. Das beginnt bei den kleinen Dingen wie dem Trittleiterbeauftragten. Weil es unzählige solcher Regelungen, Checklisten und Berichtspflichten gibt, sind zu viele Mitarbeiter nicht mehr produktiv tätig.
Was sollte der Gesetzgeber tun? Ganz klar: Die Zahl der Beauftragten kann deutlich reduziert werden. Das ist möglich, ohne die Unfallrisiken zu erhöhen. Wenn es weniger Beauftragte gibt, müssen auch weniger Leute auf Schulungen und Seminare geschickt werden. Die Aufgabe des Leiterbeauftragten könnte zum Beispiel der Sicherheitsbeauftragte übernehmen, den es ja auch noch gibt. Oder die Haustechnik erledigt das mit. Überhaupt sollte der Gesetzgeber stärker darauf vertrauen, dass die Unternehmen selbstständig ihrer Verantwortung nachkommen.
Wir müssen entrümpeln
Mein Appell an die nächste Bundesregierung: Die Zahl der Betriebsbeauftragten auf den wirklichen notwendigen Kern reduzieren. Jedes einzelne Beauftragten-Wesen, das gestrichen wird, schafft unternehmerischen Freiraum. Bei drei Millionen Betrieben in Deutschland kommt hier eine nennenswerte Entlastung zusammen.
Hier könnte die Regierung im Übrigen mit gutem Beispiel vorangehen und auch bei sich anfangen. Denn sie hat innerhalb der Regierung eine Vielzahl von Beauftragten geschaffen. Neben dem Mittelstandsbeauftragten gibt es nach wie vor den Beauftragten für den Bonn-Berlin-Umzug oder den Beauftragten für die Sozialversicherungswahlen. 43 Beauftragte hat allein die noch im Amt befindliche Bundesregierung bestellt. Die neue Regierung sollte unnötigen Ballast über Bord werfen.
Von Gisela Meister-Scheufelen, „Miss Bürokratieabbau“ der Stiftung Familienunternehmen und Politik