Wegen Trump: Ruf nach "ernsthaften Schritten in Richtung alternativer Software"
>"Souveränität war nie wichtiger als heute", sagt der Würzburger Informatikprofessor Harald Wehnes mit Blick auf die seit Jahren auch von der Politik angestrebte stärkere Unabhängigkeit von Software und anderen Technologien von marktbeherrschenden Größen vor allem aus den USA wie Microsoft, Amazon, Apple oder Google. "Jeder sollte die Schüsse gehört haben", betont der Wissenschaftler unter Verweis auf die Linie der neuen US-Regierung unter Donald Trump, der Europa allenfalls als digitale Kolonie sehe.
Digitale Souveränität ist für Wehnes aber nicht erst seit Trump 2 ein Thema. Big Tech habe schon vor Jahren eine Art Kill Switch geschaffen, moniert das Mitglied der Gesellschaft für Informatik (GI). Jederzeit könnten Funktionen von IT-Produkten der US-Konzerne also einfach abgeschaltet werden. Dazu gekommen seien "falsche Versprechungen" und Fallen. Microsoft & Co. betrieben "Souveränitätswashing", gäben sich also auch mit in Europa gehosteten Lösungen etwa für Cloud-Dienste nur den Anschein stärkerer Unabhängigkeit. Wer solche Services nutze, verliere nicht nur die Souveränität über die eigenen Daten, sondern zahle dafür auch noch viel.
Die ständig erhöhten Lizenzpreise insbesondere für Microsoft-Produkte bezeichnete Wehnes bei einer virtuellen Gesprächsrunde auf Einladung von Nextcloud als eine Form von Steuer, mit der letztlich die europäische Wirtschaft und Gesellschaft zerstört würden. Er fordert daher Zölle in Höhe von zehn bis 20 Prozent auf Software und Dienste, die nicht aus Europa kommen: "Wir brauchen disruptive Lösungen wie in den USA", wo Trump seinerseits mit Zöllen etwa gegen die EU droht. Mit den Einnahmen sollten die Mitgliedsstaaten Open-Source-Alternativen finanzieren.
EuroStack mit 300 Milliarden Euro veranschlagt
Er hätte lieber einen internationalen Handel ohne Barrieren, sieht Sebastian Raible von der European Open Source Software Business Association (Apell) Rufe nach Zöllen skeptisch: "Wir wollen auch Geschäfte in USA machen." Es brauche aber offenbar einen neuen Handelskrieg, "um uns zu zeigen, wie viel uns diese Abhängigkeiten kosten". Die EU müsse dringend deutlich mehr in Apps, IT-Services und Kapazitäten investieren. Open Source als "öffentliches Gut" sei dafür von strategischer Bedeutung. Er begrüßte den Vorschlag für einen EuroStack, den ein internationales Expertenteams unter Leitung der Innovationsökonomin Francesca Bria gemacht hat. Die EU soll demnach bis 2035 rund 300 Milliarden Euro in gemeinsame Plattformen, Datenräume, Standards und koordinierte Strategien investieren und sich ein "Europa zuerst"-Mandat zu eigen machen.
"Wir müssen ernsthafte Schritte in Richtung alternativer Software gehen", postuliert auch Hans-Joachim Popp vom Bundesverband der IT-Anwender Voice. Dies sei der "politischen Situation" geschuldet: "Sonst können wir unsere Systeme nicht mehr betreiben." Im ersten Schritt sollten daher faktische Standardprodukte wie Word, Excel & Co. in alternativen Produkten abgebildet und dann weiterentwickelt werden zu "besseren Lösungen". Für spezielle Dateiformate sollten Konverter gebaut werden, "die für 99,9 Prozent der Fälle funktionieren". Microsofts Office Open XML (OOXML) allein sei nicht ausreichend.
Open-Source-Pflicht bei kritischen Infrastrukturen
Nextcloud-Chef Frank Karlitschek kann derweil das von US-Größen in die Debatte eingeführte Narrativ nicht mehr hören, wonach Europa kein Tech könne. Es führe dazu, dass europäische IT-Unternehmen übersehen würden und unterfinanziert blieben. Damit wachse wiederum die Abhängigkeit von Big Tech in Europa, während das Potenzial lokaler Innovationen ignoriert werde. Auch US-Vizepräsident JD Vance verbreite den Mythos, dass Europa nur IT-Lösungen kaufen, aber nichts Entscheidendes dazu beitragen könne. Dabei sicherten sich die Vereinigten Staaten mit dem Cloud Act den Zugriff auf Daten in der Cloud weltweit, solange US-Firmen irgendwie involviert seien. Dies gelte auch für die Delos-Cloud, bei der Microsoft mit SAP und Arvato kooperiert. Zudem könnte die US-Regierung den Riesen aus Redmond anweisen, keine Updates mehr für die zugrundeliegende Software zu liefern.
Für Nonsens hält Karlitschek auch die Behauptung, dass die Hyperscaler aus den USA besser skalieren und günstiger sind als europäische Rechnerwolken. OHV oder Hetzner etwa seien meist preiswerter und genauso leistungsfähig. Nextcloud arbeite vor allem mit der offenen Cloud der Deutschen Telekom, die gut funktioniere. Mit Hub 10 will die Stuttgarter Firma nun eine europäische Open-Source-Alternative zu Microsoft 365 inklusive KI-Chatbot und Agenten-Unterstützung vermarkten. Parallel läuft laut dem Manager eine Beschwerde gegen den Windows- und Office-Hersteller beim Bundeskartellamt wegen illegalem Bundling, die bald entschieden werden dürfte.
Der EU-Kommission rät Karlitschek, eine Auflage zu verankern, wonach 50 Prozent der Software im Bereich kritischer Infrastrukturen auf Open Source basieren sollte. Dies würde zu einem enormen Zuwachs an Start-ups und Organisationen in diesem Sektor führen, während die Hyperscaler dort bislang nichts im Angebot hätten. CDU-Chef und Kanzleraspirant Friedrich Merz erklärte am Sonntag in der Berliner Runde, für ihn werde es absolute Priorität haben, "so schnell wie möglich Europa so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt auch wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA".