Triumph Speed Twin 1200 RS im Test: Nackt, retro, schnell | heise autos
Es klingt immer etwas merkwürdig, wenn es heißt, dass ein Retro-Bike verbessert wurde. Ist es dann noch mehr oldschool oder moderner? Im Falle der Speed Twin 1200 trifft wohl eher Letzteres zu. Der Hersteller musste sie für 2025 auf den Emissionsstandard Euro-5+ bringen und hat die Gelegenheit genutzt, viele Details zu überarbeiten. Die neue Speed Twin 1200 leistet bei gleichbleibendem Hubraum mit 105 PS bei 7750/min sogar fünf PS mehr als bisher. In der von uns getesteten RS-Version bietet sie zudem feinste Fahrwerks- und Bremsen-Komponenten.
Gelungenes Design
Während der Fahrt stellt sich rasch heraus, dass die Mehrleistung gar nicht so entscheidend für die hervorragende Performance der neuen Speed Twin 1200 RS ist. Zunächst einmal ist aber allein schon ihre Optik bemerkenswert, sie erinnert in ihren Formen an Naked Bikes aus den 70er-Jahren und unterstreicht das durch ihre Mehrfarben-Lackierung. Der rundliche Tank, die durchgehende Sitzbank mit den gesteppten Nähten, die Kotflügel aus gebürstetem Aluminium und der Rundscheinwerfer sind klare Anspielungen an jene Zeit. Die Designer zogen das Konzept konsequent durch und gaben der Speed Twin 1200 RS zwei hintere Federbeine, zudem sind den Zylindern trotz Wasserkühlung Kühlrippen angegossen. Auch die schwungvolle Führung der beiden Krümmer samt der recht kompakten Endschalldämpfer passt nahtlos ins Bild.
Bild 1 von 8Test Triumph Speed Twin 1200 RS (8 Bilder)

Ingo Gach
)Voll einstellbare Upside-down-Gabel
Dabei ist die Speed Twin 1200 RS voll auf der Höhe der Zeit mit ihrer voll einstellbaren Upside-down-Gabel von Marzocchi, und von zwei radial montierten Vierkolben-Bremssättel mit 320 mm großen Bremsscheiben konnten Triumph-Fahrer in den 70er-Jahren nicht einmal träumen. Wer genauer hinguckt, entdeckt noch mehr aktuelle Technik, so sind der Scheinwerfer, das schmale Rücklicht und die Blinker von LEDs illuminiert. Das Cockpit mit einem einzelnen Rundinstrument ist ohnehin komplett neu. Die Kombination von LC-Display mit TFT-Bildschirm wirkt zwar etwas unharmonisch, bietet aber viele Informationen.
(Bild:
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Sportlich-entspannt
Die Haltung in 805 mm Höhe fällt sportlicher aus als erwartet und bleibt dennoch entspannt. Zwar muss der Oberkörper nur leicht nach vorn gebeugt werden, aber die Fußrasten befinden sich relativ weit hinten. Der exakt 1200 cm3 große Reihenzweizylinder läuft beim Start sofort rund und verwöhnt mit einem sonoren Sound aus den beiden Auspuffrohren. Die Kupplung lässt sich ohne Kraftaufwand bedienen und die Gänge rasten butterweich ein. Auch am serienmäßigen Quickshifter gibt es nichts auszusetzen. Kompliment, beim Getriebe hat Triumph ganze Arbeit geleistet. Bei Motor-Kaltlauf und Schalthilfe deklassiert die Triumph ihr direktes Konkurrenzmodell, die gerade neu vorgestellte BMW R 12 S, deutlich.
Von den drei verfügbaren Fahrmodi wähle ich zunächst "Road" aus und werde mit einer sanften Gasannahme verwöhnt. Was nicht heißen soll, dass die Speed Twin 1200 RS nicht druckvoll unterwegs wäre. Im Gegenteil – der Motor schiebt mit maximal 112 Nm bei 4250/min mächtig an, ich reite aber schon vom Standgas weg auf einer kräftigen Drehmomentwelle, die bis 7000 Touren reicht.
Auf Handlichkeit getrimmt
Das Rückgrat der Speed Twin 1200 RS bildet ein Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohren, der Heckrahmen fällt schmaler aus als beim vorangegangenen Modell. Auch die Schwinge aus gebürstetem Aluminium ist neu entwickelt. Der 14,5 Liter große Tank erlaubt guten Knieschluss und der breite Lenker unterstützt in Verbindung mit den neu designten und erleichterten Felgen ein geschmeidiges Einlenkverhalten. Von ihren 216 kg Leergewicht ist kaum etwas zu spüren, die Triumph eilt leichtfüßig durch Kurven aller Art, selbst in engen Haarnadelkehren ist sie nicht in Verlegenheit zu bringen.
Bild 1 von 7Triumph Speed Twin 1200 RS II (7 Bilder)

Ingo Gach
)Das liegt vor allem an der auf Handlichkeit getrimmten Fahrwerksgeometrie, die Radachsen stehen 1413 mm auseinander, der Nachlauf weist nur 91,5 mm auf und der Lenkkopfwinkel steile 67,4 Grad – eher ungewöhnlich für ein Retro-Naked-Bike. Zum Glück beging Triumph nicht den Fehler, hinten einen 180er-Reifen aufzuziehen, sondern belässt es bei einem handlingsfördernden 160er-Pneu.
Überambitionierte Reifenwahl
Lediglich die supersportlichen Metzeler Racetec RR K3 sind vielleicht etwas "too much" für die Engländerin, denn sie wurden eigentlich für Straßenrennen entwickelt. Einmal warmgefahren, zeigen sie wirklich exzellente Performance, aber beim morgendlichen Kaltstart sind sie noch mit Vorsicht zu genießen. Bemerkenswert gut funktionieren die beiden hinteren Federbeine von Öhlins, die in Vorspannung und Zugstufe einstellbar sind. Sie tasten auf 116 mm Arbeitsweg feinfühlig den Asphalt ab und filtern Löcher und Wellen sauber heraus. Die Speed Twin 1200 RS bleibt absolut ruhig, selbst bei forcierter Gangart auf schlechter Wegstrecke. Auch wer die möglichen 209 km/h Topspeed auf der Autobahn austesten will, wird eine unerschütterlich stabile Triumph kennenlernen. In den schicken Lenkerendenspiegeln lässt sich der rückwärtige Verkehr, auch im Gegensatz zur BMW R 12 S, bemerkenswert gut im Auge behalten. Die Art der Spiegelbefestigung ist ganz offenbar viel weniger das Problem als die Gestaltung der Geometrie, welche die lebenswichtige Optik unterstützt.
Sattes Drehmoment
Der eigentliche Spaß liegt bei der Speed Twin 1200 RS im Ausnutzen des satten Drehmoments auf kurvigen Landstraßen. Runterschalten ist selten notwendig, die Britin zieht auch aus dem tiefsten Drehzahlkeller souverän durch und ihre Akustik erzeugt beim Fahrer eine wohlige Gänsehaut. Beim Wechsel in den "Sport"-Modus reagiert der Zweizylinder noch spontaner auf Gasbefehle und katapultiert die Fuhre atemberaubend schnell vorwärts. Gut, dass sich mit den Vierkolbenbremsen von Brembo aus der Baureihe Stylema unter allen Umständen sehr kurze Bremswege erzielen lassen. Im neuen Jahrgang bekam die Triumph zudem ein hervorragend funktionierendes Kurven-ABS und eine nicht minder gute Schlupfregelung spendiert. Ihr Verbrauch pendelt sich bei 4,9 Liter auf 100 km ein, nicht schlecht für den großen Hubraum, so kommt der Fahrer theoretisch knapp 300 km weit.
Leider keine analogen Instrumente mehr
Gibt es gar nichts zu kritisieren an der Speed Twin 1200 RS? Doch. Ich vermisse die beiden bildhübschen analogen Rundinstrumente mit Tacho und Drehzahlmesser, wie die Vorgängerin sie hatte. Das neue LC-/TFT-Instrument ist zwar kompakt, wirkt aber wenig harmonisch. Das ist wohl der Preis der Moderne.
Apropos Preis: Triumph erwartet 16.195 Euro für sein bildhübsches Naked Bike. Ganz sicher nicht zu viel für das herrliche Gesamtpaket aus Retro-Bike und sportlichem Landstraßentalent. Doch die Speed Twin 1200 RS ist nicht nur schön und schnell, sondern auch vielseitig. Wer möchte, kann aus ihr auch einen stilechten Café-Racer machen, im reichhaltigen Zubehörangebot von Triumph finden sich ein Café-Racer-Sitz (369 Euro) und eine farbliche abgestimmte Sitzbankabdeckung (205 Euro) sowie geschmiedete Stummellenker (208 Euro), welche die Griffhöhe um 90 mm reduzieren.