Autonomes Fahren in Deutschland: Erlaubt ist, was zugelassen ist | heise autos
"Verboten" ist neben "Schadenfreude" oder "Kindergarten" ein international bekanntes deutsches Wort. Angeblich ist es Kern unserer Kultur, dass das Betreten des Rasens und die nachts rumpelnde Waschmaschine verboten sind. Es gibt allerdings Dinge, die in Deutschland erlaubt sind und anderswo nicht: das autonome Fahren zum Beispiel. Anders als vielfach vermutet hat Deutschland eine im weltweiten Vergleich besonders fortschrittliche Gesetzgebung fürs autonome Fahren. Was ein Auto darf, wird mit der Homologation des jeweiligen Fahrzeugs festgelegt. Darunter versteht man die allgemeine Genehmigung, ein Fahrzeug mit bestimmten Eigenschaften in Serie zulassen zu dürfen.
Konkret weist das Bundesverkehrsministerium (BMDV) darauf hin, dass Deutschland den ersten Rechtsrahmen überhaupt für fahrerlose Fahrzeuge nach Level 4 in Kraft gesetzt hat. Auf gewöhnlichen öffentlichen Straßen und außerhalb von definierten Erprobungsszenarien, wohlgemerkt. Es werde, so heißt es vom BMDV, kein Anwendungsfall von vornherein ausgeschlossen. Die zum Gesetz gehörende Verordnung ist seit 1. Juli 2022 gültig. Das Problem sind die Fahrzeuge, also Pkws und Lkws. Schauen wir der Einfachheit halber auf die Pkws, obwohl die Logistikbranche äußerst interessiert ist, den Menschen hinter dem Lenkrad abzuschaffen.
UNECE definiert die Zulassungsvoraussetzungen
Autos müssen – unabhängig von der Antriebsart – zugelassen werden. Zwar ist das Kraftfahrtbundesamt (KBA) die Behörde, welche die Genehmigung für alle Automatisierungsfunktionen eines Typs erteilt. Den rechtlichen Rahmen aber bildet die UNECE, also die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa.
Die Nationalstaaten setzen sich bei der UNECE für das ein, was sie für richtig halten. So geht die Freigabe des Automated Lane Keeping System (ALKS) nach Level 3 und bis 130 km/h auf eine deutsche Initiative zurück. Trotzdem ist klar, dass sich bei der UNECE noch viel tun muss, um eindeutig zu definieren, was das autonome Fahren nach Level 4 bedeutet: Eine Standardisierung, exakte Definition und Vereinheitlichung der Anforderungen, die den nationalen Rahmen zum Beispiel in Deutschland überflüssig macht, steht bis heute aus. Immerhin geht alles, was die UNECE regelt, über das hinaus, was die Autohersteller tatsächlich liefern.
Bei Level 2 ist der Fahrer immer verantwortlich
Was die Hersteller liefern können, ist meist Level 2. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) nennt diese Stufe "assistiertes Fahren". Wenn ein Auto die Längsführung – also das Beschleunigen und Bremsen über eine adaptive Geschwindigkeitsregelung – sowie die Querführung (= die Spurmittenführung) in Level 2 übernimmt, muss der Fahrer das permanent überwachen. Er ist in jeder Situation verantwortlich, auch wenn es sich nicht so anfühlt. Der Marketingsprech hat noch mehr als Level 2: Systeme nach Level 2+ (in China manchmal Level++ oder Level 2.9 genannt) sind in der Bezeichnung nicht geschützt. Sie suggerieren dem Menschen bereits einen Eindruck des automatisierten oder autonomen Fahrens, obwohl das faktisch nicht so ist.
Level 2 mit Hands-off nur als Sonderzulassung
Ein Beispiel hierfür ist der "Driving Assistant Professional" im BMW i5: Der Fahrer muss seine Aufmerksamkeit nicht wie bei anderen Level 2-Systemen über die Hand am Lenkrad nachweisen (Hands-off); die Aufmerksamkeit des Fahrers wird durch Eyetracking sichergestellt. Für den, der’s noch nicht probiert hat: Das funktioniert in vielen Anwendungsfällen auf der Autobahn beeindruckend gut, und nur auf diesen Streckentyp ist dieses System auch ausgelegt.
BMW hat für dieses Fahrassistenzsystem eine Sonderzulassung für Deutschland. Die UNECE hat Hands-off mit DCAS (Driver Control Assistance Systems) eigentlich seit 2025 untersagt. Es ist aber geplant, genau diese Funktion in einer kommenden Weiterentwicklung von DCAS zu definieren und so zu genehmigen. Dem Vernehmen nach plant auch Tesla bei der Zulassung von FSD (Full Self-Driving) lediglich ein Level-2-System mit Hands-off-Erweiterung und kein echtes autonomes Fahren. Wie genau diese Zulassung erfolgen soll – etwa in den Niederlanden –, und in welchen EU-Staaten sie gültig ist, bleibt abzuwarten.
Bei Level 3 darf der Fahrer sich erstmals abwenden
Level 3, in der Lesart der BASt das "automatisierte Fahren", erlaubt erstmals, dass der Mensch sich in einem begrenzten Rahmen komplett von der Fahraufgabe zurückziehen darf. Das sind üblicherweise langsame Geschwindigkeiten auf der Autobahn. Er muss aber zur Rückübernahme in der Lage sein. Der qualitative Unterschied zu Level 2 ist also, dass bei Level 3 ein Film betrachtet oder gegessen werden darf, ohne dass sich der Mensch um die Überwachung der Fahrfunktion kümmern muss – in mindestens einem exakt umrissenen Szenario. Ein Anbieter kann also präzise formulieren, unter welchen Bedingungen er automatisiertes Fahren ermöglicht. Ein Beispiel für einen denkbaren Anforderungskatalog: "Temperaturen von mehr als 4 Grad, trockene Fahrbahn, mehrere Fahrspuren in eine Richtung, die von der Gegenfahrbahn räumlich getrennt sind". Es steht ebenso jedem Hersteller frei, das automatisierte Fahren in mehr als einem Szenario zu ermöglichen.
Es gibt nur wenige Pkw, die für Level 3 zugelassen sind. Der Mercedes EQS zum Beispiel. Er beherrscht das oben beschriebene Automated Lane Keeping auf der Autobahn und neuerdings bis zu einer Geschwindigkeit von 95 km/h. Auch die Mercedes S-Klasse kann das ab sofort. Der dafür nötige Assistent ist an weitere Extras gekoppelt, was den Aufpreis insgesamt auf mehr als 11.000 Euro anhebt. Angesichts des engen Rahmens, in dem das automatisierte Fahren derzeit funktioniert, ist das fraglos eine stolze Summe, auch in dieser Klasse.
Noch viele Einschränkungen
Kaum ein Automatisierungssystem kann und darf so viel wie das im Mercedes EQS, und dennoch ist es begrenzt: Bei Nacht und Regen etwa arbeitet es (noch) nicht. Mercedes und auch BMW streben an, die Grenzen der Level 3-Funktionen schrittweise auszubauen. Ähnlich wie bei der Bezeichnung Level 2 wird es also auch bei Level 3 eine sehr breite Spanne des Könnens geben. Für die Autoindustrie ist es eine wichtige Aufgabe, dem Fahrer verständlich zu machen, wann er verantwortlich ist und wann er sich zurückziehen darf. Das nennt sich in der Fachsprache "Mode Awareness".
Wer schafft Level 4 preisgünstig und in Großserie?
Nach Level 3 kommt Level 4. Level 4 ist das autonome Fahren. Nach allem, was heute vernünftig prognostiziert werden kann, wird Level 4 in den 2030er-Jahren in vielen Pkws und Lkws Realität werden. Vielleicht schon 2030, vielleicht erst 2039. Die umfangreichen Praxistests, die von Waymo in San Francisco bis MOIA in Hamburg reichen, beweisen die grundsätzliche Machbarkeit des autonomen Fahrens. Es ist aber ein großer Unterschied, ob ein autonomes Robotaxi in Kalifornien oder Texas unterwegs ist, wo sich die Hersteller selbst zertifizieren dürfen, oder ob es eine allgemeingültige Regel auf einem ganzen Kontinent gibt, die in einem Großserienfahrzeug zu einem erschwinglichen Preis umgesetzt wird. Der rechtliche Rahmen ist in Deutschland jedenfalls nicht der limitierende Faktor.