Merz und Klingbeil müssen dieses Urteil kennen: Gericht stoppt Bürgergeld-Entzug
Das Bürgergeld, das erst 2023 eingeführt wurde, steht vor dem Aus. CDU, CSU und SPD verhandeln derzeit über eine neue Grundsicherung, die das bisherige System ersetzen soll. Ziel ist es, härtere Sanktionen durchzusetzen – besonders für Menschen, die mehrfach zumutbare Arbeit verweigern.
Bürgergeld: CDU und SPD wollen Totalentzug
Kern der neuen Pläne ist es, die Verbindlichkeit für Empfänger deutlich zu erhöhen. „Jede arbeitslose Person hat sich aktiv um Beschäftigung zu bemühen“, heißt es im Papier der Koalition. Dabei soll der Vermittlungsvorrang zurückkehren: Eine schnelle Arbeitsaufnahme hat künftig Vorrang vor Maßnahmen zur Qualifizierung, auch wenn diese langfristig zu einer besseren Integration in den Arbeitsmarkt führen könnten. Bei Fehlverhalten der Bürgergeld-Beziehenden sollen die Jobcenter „schneller, einfacher und unbürokratischer“ Sanktionen verhängen können.
Besonders umstritten: Der sogenannte „Totalentzug", also die komplette Streichung der Leistungen. „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, heißt es von CDU, CSU und SPD.
Hohe rechtliche Hürden
Doch ganz so einfach ist das nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 klargestellt, dass Sanktionen von mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs nicht mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar sind. Den Regelsatz und die Unterkunftskosten ganz zu streichen, ist daher mit hohen rechtlichen Hürden verbunden.
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„Die CDU müsste eine Regelung finden, die verfassungsrechtlich konform wäre“, erklärt Sozialrechtsexperte Fitzenberger in der „Frankfurter Rundschau“. Und: „Den Regelsatz und die Erstattung der Unterkunftskosten komplett zu streichen, erscheint nach meinem Verständnis nicht umsetzbar.“ Das sieht auch der Sozialrechtler Harald Thomé so: „Es müssten mindestens Lebensmittelgutscheine vorgesehen sein, und auch die Strom- und Telekommunikationspauschalen müssten weiter ausgezahlt werden, denn Strom gehört zu den Unterkunftskosten.“
Fall in Karlsruhe offenbart die hohen Hürden
Ein Fall aus dem Jahr 2022 macht deutlich, wie schwierig ein vollständiger Entzug von Leistungen in Deutschland tatsächlich ist. Eine Mutter und ihre kleine Tochter lebten in einer kleinen Wohnung und bezogen Bürgergeld. Das Jobcenter entzog ihnen die Leistungen für mehrere Monate, weil die Mutter angeblich Unterlagen nicht vollständig vorgelegt hatte.
Die Frau hatte dem Jobcenter zwar Kontoauszüge vorgelegt, aber Teile davon geschwärzt. Das Jobcenter verlangte weitere Unterlagen, doch als die Frau nicht darauf reagierte, stellte es kurzerhand die Zahlungen ein – sogar rückwirkend.
Im Eilverfahren lehnte das Sozialgericht Karlsruhe den Antrag der Mutter auf Auszahlung der Leistungen ab. Doch im Hauptverfahren bekam sie plötzlich Recht: Das Gericht erklärte den Totalentzug für unzulässig und übte dabei scharfe Kritik an der Vorgehensweise des Jobcenters.
Gericht rügt Jobcenter scharf: „Existenzvernichtend“
Das Sozialgericht Karlsruhe fand deutliche Worte und bezeichnete das Vorgehen des Jobcenters als Verstoß gegen die grundlegenden Prinzipien eines menschenwürdigen Existenzminimums. Es sei „existenzvernichtend“ und „offensichtlich rechtswidrig“, ohne eine mündliche Anhörung und ohne angemessene Prüfung der Umstände einen Totalentzug der Leistungen anzuordnen.
Besonders kritisiert wurde, dass das Jobcenter auf die Mitwirkung der Betroffenen bestand, ohne deren persönliche Situation angemessen zu berücksichtigen. „Dass eine alleinerziehende Mutter mit kleinem Kind als Mittellose allein für die Vorlage sämtlicher Unterlagen verantwortlich gemacht wird, widerspricht den verfassungsrechtlichen Maßstäben eines fairen Verfahrens“, so das Gericht.
Die Entscheidung des Jobcenters wurde als „unsachlich, unverhältnismäßig und inakzeptabel“ eingestuft. Weiter heißt es in dem Urteil: „Eine Behörde, die sich ihrer Verantwortung gegenüber den Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft in solcher Weise entzieht, verstößt gegen die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie.“
Dass die Behörde ihren Totalentzug als „sanfte Druckausübung“ bezeichnete, wurde in der Urteilsbegründung außerdem als „respektlos und menschenverachtend“ zurückgewiesen.
Das Urteil zeigt, dass die Hürden für den Totalentzug extrem hoch sind. Die Verhandlungen zur neuen Grundsicherung werden zeigen, ob die Politik tatsächlich einen Weg findet, die geplanten härteren Sanktionen rechtssicher zu gestalten. Klar ist: Die gesetzlichen Vorgaben setzen enge Grenzen.