Sicherheitsexperte: Taurus-Lieferung an Ukraine würde „Signal an Moskau senden“
Herr Mölling, CDU-Chef Friedrich Merz erwägt eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Aber ist es dafür nicht zu spät? Immerhin pocht US-Präsident Donald Trump auf ein baldiges Kriegsende.
Das stimmt, aber Trump drängt ja schon, seitdem er im Amt ist – und er kommt bislang nicht voran. Das heißt: Es ist sinnvoll, die Ukrainer auf den Fall vorzubereiten, dass bei diesen Verhandlungen einfach nichts rauskommt.
Und wenn doch etwas dabei herauskommt?
Dann müssen die Ukrainer erst recht verteidigungs- und abwehrfähig gemacht werden. Denn die Gefahr eines weiteren russischen Angriffs in der Zukunft bestünde ja weiter – darauf muss Kyjiw vorbereitet sein. Die Lieferungen kämen also so oder so auf keinen Fall zu spät.
Welchen Mehrwert hätten Taurus-Geschosse aktuell für die Ukraine?
Der Taurus hat mit bis zu 500 Kilometern eine etwas größere Reichweite als die Storm-Shadow- und Scalp-Marschflugkörper der Briten und Franzosen. Er ermöglicht es, sogenannte Punktziele anzugreifen, also zum Beispiel Kommandoeinrichtungen, aber auch feindliche Raketenwerfer.
Der Taurus wäre eine Unterstützung bei Angriffen auf strategisch wichtige Ziele – aufgrund seiner Reichweite eben auch auf solche, die sich auf russischem Staatsgebiet befinden.
Wie heikel ist das?
Völkerrechtlich ist das kein Problem. Politisch in Deutschland schon eher, weil man sich hier selbst rote Linien gezogen hat, die die neue Bundesregierung abräumen müsste, wenn sie den Taurus wirklich an die Ukraine liefern wollte.
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Der Kreml droht im Falle einer Lieferung mit einer militärischen Eskalation.
Das tut er immer. Die Frage ist, ob man sich davon ins Bockshorn jagen lässt. Dem Kreml ist es gelungen, mit dem Begriff der Eskalation so viel Angst zu verbreiten, dass man zuweilen den Eindruck bekommt, wir würden das Tor zum Dritten Weltkrieg aufstoßen, wenn wir die Ukraine stärker unterstützen.
Wenn Russland wirklich eskalieren könnte: Warum hat es das bislang noch nicht getan? Es hat ja seine Kriegsziele noch nicht erreicht. Dementsprechend würde ich eine dauerhafte Eskalationsfähigkeit Russlands infrage stellen.
Also alles leere Drohungen?
Jein. Sollte Deutschland die Taurus-Marschflugkörper tatsächlich liefern, halte ich es für wahrscheinlich, dass die russische Armee einmal zu einem einzelnen größeren Gegenschlag ausholen würde – auch, um in Deutschland entsprechende Diskussionen weiter zu befeuern.
Welche?
Es wird dann natürlich Leute hier geben, die sagen: „Seht ihr, hätten wir den Taurus nicht geliefert, dann wäre das nicht passiert. Vielleicht sollten wir lieber wieder damit aufhören.“
Der Kreml wird deshalb auch weiterhin auf deutsche Verzagtheit setzen. Insofern wäre es ein umso wichtigeres Zeichen, den Taurus zu liefern – und zwar nicht nur einmalig, sondern kontinuierlich. Das würde das Signal an Moskau senden, dass dieses Verunsicherungsspiel mit der neuen Bundesregierung nicht mehr funktioniert.
Hartnäckig hält sich die Behauptung, es brauche deutsche Soldaten, um Taurus-Marschflugkörper zu bedienen. Was ist da dran?
Nicht viel. Die sogenannte Missionsprogrammierung kann an ukrainische Soldaten ausgelagert werden. Das ist alles schon breit diskutiert worden, die Hersteller haben bestätigt, dass das kein Problem wäre.
Und selbst wenn: Eine Beteiligung deutscher Soldaten bei der Zielprogrammierung wäre völkerrechtlich komplett gedeckt. Man muss eher fragen, warum wir das nicht machen wollen, wenn wir doch viele andere Sachen machen.
Wir haben uns mit unseren roten Linien derart selbst eingezäunt, dass wir enorm berechenbar geworden sind für Russland.
Christian Mölling, Sicherheitsexperte
Können Sie das ausführen?
Das, was wir der Ukraine momentan an Militärhilfe leisten, ist genauso vom Völkerrecht gedeckt, wie es auch der Einsatz deutscher Soldaten wäre.
Ein solcher Einsatz hieße ja auch nicht, dass die Bundeswehrsoldaten an der Front in der Ukraine kämpfen würden.
Wo wären sie eingesetzt?
Hilfe bei der Bedienung von Waffensystemen würde entweder von Deutschland aus erfolgen oder aus dem ukrainischen Hinterland. Man muss es bloß wollen.
Klar ist: Wir haben uns mit unseren roten Linien derart selbst eingezäunt, dass wir enorm berechenbar geworden sind für Russland. Das ist ein Nachteil für uns und ein Nachteil für die Ukraine. Daraus müssen wir ein Stück weit ausbrechen.
Wie?
Erstens müssen wir wieder unberechenbarer werden. Zum Beispiel, indem wir sagen: „Wie wir auf dies oder jenes reagieren, das behalten wir uns erstmal vor.“ In anderen Worten: Wir sollten nicht immer direkt sagen, was wir alles nicht machen werden.
Und zweitens?
Zweitens könnten wir die Handlungsfähigkeit der Ukrainer eben dadurch erweitern, dass wir ihnen Marschflugkörper vom Typ Taurus geben. Das wird militärisch nicht alles verändern, gäbe der ukrainischen Armee aber neue Möglichkeiten. Und es wäre ein politisch wichtiges Zeichen.
Von Hannah Wagner
Das Original zu diesem Beitrag "„Wir müssen unberechenbarer werden“: Helfen Taurus-Lieferungen der Ukraine noch, Herr Mölling?" stammt von Tagesspiegel.