Kubicki verrät Erfolgsrezept für die finale Phase der Koalitions-Gespräche

FOCUS online: Herr Kubicki, zum Abschluss von Koalitionsverhandlungen ist oft die Rede von einer „Nacht der langen Messer“. Inwiefern ist dieses martialische Bild Ihrer Erfahrung nach zutreffend?

Wolfgang Kubicki: Das hängt davon ab, ob man sich ein Datum zum Ziel gesetzt hat, bis zu dem die Verhandlungen abgeschlossen sein sollen. Wenn das so ist, läuft es zum Schluss auf Nachtsitzungen hinaus, die bis in den Morgen gehen können. Denn es steht ja das Versprechen im Raum, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuliefern. 

CDU-Chef Friedrich Merz hat angekündigt, dass vor Ostern eine neue Regierung stehen soll.  

Kubicki: Ja, und wie es in den vergangenen Tagen aussieht, haben sich Union und SPD bei den strittigen Punkten noch nicht angenähert. Eine Nachtsitzung ist also wahrscheinlich, auch weil die SPD vor Ostern noch ihr Mitgliedervotum abhalten müsste, um das Versprechen einzuhalten. Und die deutsche Öffentlichkeit wartet darauf, dass es in der Migrationsfrage, der Steuerfrage und in Wirtschaftsfragen eine Antwort gibt. Donald Trumps Zoll-Ankündigungen machen es noch notwendiger, dass die Politik schnell reagieren kann.

Was bedeutet das für die Ausgangslage von Union und SPD vor den finalen Gesprächen?

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Kubicki: Der Verhandlungspartner ist im Nachteil, der den zeitlichen Rahmen gesetzt hat – also in diesem Fall die Union. Die SPD muss im Grunde einfach nur warten, bis der Druck für CDU und CSU zu groß wird, die Verhandlungen rechtzeitig abzuschließen. 

Die SPD kann einfach sitzenbleiben – und Klingbeil kann das

Also ist es die erfolgversprechendere Strategie in der finalen Verhandlungsphase, einfach sitzenzubleiben, statt auch mal aufzustehen und die Gespräche zu unterbrechen?

Kubicki: In dieser finalen Phase ist es keine gute Option mehr, aufzustehen. Wer das macht, signalisiert, dass er keine Kompromissfähigkeit besitzt und eigentlich keine Regierungsverantwortung übernehmen will. Die SPD kann einfach sitzenbleiben, noch regiert ja auch ihr Kanzler Olaf Scholz.

Zum Beispiel Angela Merkel wurde gutes Sitzfleisch bei Verhandlungen nachgesagt. Wie wichtig ist es, einfach beharrlich abwarten zu können? Und wie gut können das die schwarz-roten Akteure?

Kubicki: Das ist sehr wichtig. Ich habe SPD-Chef Lars Klingbeil selbst erlebt in den Ampel-Verhandlungen, er hält auch mal eine Nacht durch. Das gilt wahrscheinlich auch für CSU-Chef Markus Söder. Bei Friedrich Merz bin ich mir nicht sicher, er hat sich bislang nicht als guter Verhandler präsentiert.

Warum nicht?

Kubicki: Merz hat kaum Druckmittel, weil er keine Alternativen zu Schwarz-Rot hat. Scheitern die Gespräche, könnten SPD, Grüne und Linke im Bundestag einen sozialdemokratischen Kanzler wählen, den die Union nur verhindern könnte, wenn sie gemeinsam mit der AfD einen Kandidaten dagegenstellt. Da Merz das aber ausgeschlossen hat, reicht die relative Mehrheit von Rot-Grün-Dunkelrot. Da die Union diese Gefahr sieht, bin ich mir sicher: Es wird eine Einigung geben, aber das Ergebnis wird nicht schön sein für Merz. Die SPD befindet sich in einer komfortableren Situation.

CDU-Chef Friedrich Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil gehen in die finale Phase der Koalitionsverhandlungen. Michael Kappeler/dpa

Wie wahrscheinlich ist es, dass ganz am Ende Kompromisse nochmal aufgemacht werden, um an anderer Stelle den Knoten zu zerschlagen?

Kubicki: Das macht man nur, wenn man die Koalitionsverhandlungen scheitern lassen will. Wenn man das Gefühl bekommt, dass eine Koalition nicht zustande kommen soll, dann schnürt man alles nochmal auf und erhöht dadurch den Zeitdruck. In den letzten Stunden der Verhandlungen ist es aus meiner Sicht keine vernünftige Strategie, zu sagen, wir kommen euch entgegen der bisherigen Beschlusslage in dem einen Punkt noch weiter entgegen, damit wir an dem anderen Punkt etwas bekommen können. 

„Die einzige Chance liegt darin, den Zeitdruck rauszunehmen“

Wie können Knoten stattdessen zerschlagen werden in dieser Phase?

Kubicki: Die einzige Chance liegt darin, den Zeitdruck rauszunehmen. Einfach zu sagen, dass man alle Zeit der Welt hat und nochmal mit den Fachpolitikern zu sprechen. Das schafft neue Handlungsoptionen.

Wenn Sie auf die bisherigen Verhandlungen blicken: Welche Fehler haben Union und SPD gemacht, die Ihnen jetzt in der finalen Gesprächsphase Probleme bereiten werden?

Kubicki: In erster Reihe die vielen Vorfestlegungen unmittelbar vor der Bundestagswahl und kurz danach. Zum Beispiel hat Merz erklärt, am ersten Tag seiner Kanzlerschaft mit der Richtlinienkompetenz das Innenministerium anzuweisen, Zurückweisungen an den Grenzen vorzunehmen.Das bekommt er nach dem Schleifen der Schuldenbremse nicht mehr vom Tisch, ohne einen absoluten Gesichtsverlust zu erleiden. Mir fehlt die Fantasie, wie Merz diesen vermeiden kann.

Ursprünglich hatte die CDU den Plan eines sehr knappen Koalitionsvertrags, auch das wird nicht zu halten sein. 

Kubicki: Diese Idee hat die Union immer, das war auch bei den Jamaika-Gesprächen 2017 schon so. Das ist allerdings mit SPD und Grünen nicht zu machen, sie wollen immer möglichst genau festlegen, wie die Politik der Koalition aussehen soll. Denn sind sie erst in die Koalition eingetreten, haben sie nur noch eine Verhinderungsmacht. Das heißt, wenn ein Koalitionspartner sagt, ich mache das nicht, dann passiert es auch nicht. Dieses Denken wird wieder dazu führen, dass der Vertrag dieser „Kleinen Koalition“ wieder sehr umfangreich und detailliert wird. Beide trauen sich gegenseitig nicht, dass Zusagen aus persönlichen Gesprächen eingehalten werden. Sie wollen die Dinge schwarz auf weiß, um sie später einfordern zu können. 

„Die wesentlichen Minister-Entscheidungen wurden schon getroffen“

Alle Parteien betonen immer, dass über Posten erst ganz am Ende gesprochen wird. Mal ehrlich: Wie stark spielt das schon vorher eine Rolle?

Kubicki: In der großen Verhandlungsrunde wird tatsächlich ganz am Ende darüber gesprochen. Aber die wesentlichen Entscheidungen, wer welches Ministerium bekommen wird, wurde mit Sicherheit schon in einem Vier-, Sechs, oder Acht-Augen-Gespräch der Parteichefs getroffen. Bei den wichtigen Ministerien wie Finanzen und Verteidigung wird auch schon klar sein, welche Personen sie besetzten sollen. Die Beteuerungen, dass die Postenvergabe ganz zum Schluss kommt, stimmt deshalb nur zur Hälfte. 

Bei der Vergabe von Ministerien geht es auch immer um Quoten und Proporze. Inwiefern ist das dann nur ein Puzzlespiel, damit alle Gruppen am Ende zufrieden sind und wie sehr spielt Kompetenz dann noch eine Rolle? 

Kubicki: Kompetenz spielt schon eine entscheidende Rolle. Es geht nicht nur um Quoten, die Verhandler haben schon ein Verständnis dafür, wer dieses Land als Minister führen könnte und wer nicht. Man macht sich selbst ja auch keinen Gefallen, wenn man jemanden in ein Ministerium schickt, der nach ein paar Monaten scheitert.

Trotzdem ist der Einfluss von Quoten und Proporze nicht ganz von der Hand zu weisen.

Kubicki: Bei der SPD ist der Quotengedanke wichtiger als bei der Union oder als bei der FDP in den Ampel-Verhandlungen 2021. Wenn Merz Wert auf Geschlechterparität legen würde, würde das auch auf die Union den Druck erhöhen, ausreichend weibliche Ministerinnen zu nominieren, weil sie die Verantwortung für die Quotenerfüllung nicht allein bei der SPD abladen kann. Das würde dann die Vergabe der Ministerien schon beeinflussen.

„Trotz aller Müdigkeit muss man Optimismus verbreiten“

Nach einer Einigung haben die Verhandler meist nicht mehr ganz so viel Kraft, müssen aber noch das Ergebnis der Öffentlichkeit verkaufen. Wie klappt das am besten?

Kubicki: Man darf nicht sagen, dass man gerade noch so Kompromiss gefunden hat, die die Parteien nur unter Schmerzen mittragen können. Trotz aller Müdigkeit muss man Optimismus verbreiten und den Koalitionsvertrag als großen Wurf für das Land präsentieren. Das ist im Fall von Merz besonders wichtig, weil er schon vor der Kanzlerwahl so schlechte Beliebtheitswerte hat wie Scholz.

Abschließend noch ein Blick zurück auf die Ampel-Verhandlungen, an denen Sie beteiligt waren. Was lief in den Gesprächen damals trotz des späteren Koalitionsbruchs besser als in den Verhandlungen zwischen Union und SPD heute?

Kubicki: Während der Ampel-Gespräche hat sich tatsächlich ein Team-Spirit entwickelt und das Bewusstsein, dass wir es tatsächlich schaffen können. Wir haben in allen Bereichen dafür Sorge getragen, dass sich jede Partei im Koalitionsvertrag mir ihren identitätsstiftenden Punkten wiederfindet. Das hat sich dann erst später in Luft aufgelöst, weil es in der Koalition Streit über die Finanzierung gab. Ich vermute, dass nach dem Schleifen der Schuldenbremse Union und SPD dieses Problem nicht mehr sehen. Aber das ist eine falsche Annahme, weil es mittlerweile so viele Ansprüche an den Haushalt gibt, dass die 500 Milliarden schnell verschwinden können, auch abseits der Infrastruktur-Projekte. Die Erwartungen, die mit dem Sondervermögen geweckt worden sind, könnten schnell enttäuscht werden. Und dann stellen die Finanzen wieder eine Koalition auf die Zerreißprobe.

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