Riesen-Zelt für Flüchtlinge geplant: „Dass es Ängste gibt, sollte man verstehen“
Seit Ende Januar rumort es heftig in der Gemeinde Seeshaupt am Südufer des Starnberger Sees. Grund: Der Landkreis plant kurzfristig die Errichtung einer großen Thermohalle als Notunterkunft für rund 100 Flüchtlinge und Asylbewerber. Fritz Egold (CSU), Bürgermeister von Seeshaupt, wirft dem Landkreis vor, das Projekt intransparent umzusetzen, ohne die Gemeinde ausreichend mit einzubeziehen. Der Landkreis allerdings sieht das ganz anders.
"Unterbringung und Hilfe für Flüchtlinge", schickt Egold im Gespräch mit FOCUS online vorweg, "sind für die Seeshaupter nichts Neues". Derzeit lebten unter den 3200 Bürgern 39 Asylbewerber und 20 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. "Zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine haben wir 60 Kriegsflüchtlinge gehabt. Die Hilfsbereitschaft war groß, ich bin sehr stolz auf unsere Gemeinde." Auch seine eigene Familie habe damals Flüchtlinge zu Hause aufgenommen.
Zoff wegen Flüchtlingsunterkunft am Starnberger See: "So nimmt man Bürger nicht mit"
Doch das, was das Landratsamt Weilheim-Schongau plane, "überfordert die Gemeinde". Vor allem die Art und Weise, wie der Landkreis das Projekt in Seeshaupt umsetzen wolle und darüber informiere, "stößt im Ort auf Unverständnis und löst Sorgen aus", erklärt Egold.
Die ersten Probleme hätten Ende Januar damit begonnen, den Umfang des geplanten Projekts klar zu benennen. "Das Landratsamt hat uns wie aus dem Nichts darüber informiert, dass man im März eine Thermohalle auf einem landeseigenen Grundstück als Notunterkunft errichten und im April eröffnen wolle."
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Für erhebliche Verunsicherung habe seinerzeit gesorgt, dass zunächst von einer Traglufthalle für 250 Flüchtlinge sowie "weitergehenden Bauten für mindestens weitere 100 Personen" die Rede gewesen sei, sagt Egold. "Detaillierte Informationen sind uns nicht übermittelt worden, nicht mal ein Bebauungsplan."
Daran habe sich auch bei einer ersten Bürgerversammlung am 17. Februar nichts geändert. Die Mitarbeiter des Landkreises hätten dabei "weder Pläne noch Informationen zur Halle" vorgelegt – nicht mal einen Bauantrag. "So nimmt man die Leute nicht mit", meint Egold. Rund 1300 Bürger hatten sich bis dahin in einer Online-Petition schon gegen die Unterkunft ausgesprochen.
Dorf erwirkt vorläufigen Baustopp: "Dass es da Ängste gibt, sollte man verstehen"
Darüber hinaus habe das Landratsamt laut Egold keine Garantie dafür geben können, dass die Asylbewerber, die nach Seeshaupt kommen sollen, im Schnitt nur acht Wochen blieben, bevor sie dezentral an andere Orte verteilt würden. "Ab einer Aufenthaltsdauer von mehr als 90 Tagen müssen die Kommunen Schul- und Kita-Plätze vorhalten. Das schaffen wir aber auf keinen Fall, wir arbeiten längst am Anschlag", sagt Egold.
Die Halle, die 43 Meter lang, 15 Meter breit und sechs Meter hoch werden soll, sei außerdem auf einer Wiese geplant, in deren unmittelbarer Umgebung viele Familien mit Kindern lebten. "Dass es da Ängste gibt, sollte man verstehen."
Um zu verhindern, dass die Gemeinde vor "vollendete Fakten" gestellt wird, habe man inzwischen einen Baustopp bei der oberbayerischen Regierung erwirkt. Dort habe man "von nichts gewusst", merkt der Bürgermeister an.
Die Notwendigkeit, Flüchtlinge in einer neuen Notunterkunft der eigenen Gemeinde unterzubringen, kann der Seeshaupter Bürgermeister zudem nicht nachvollziehen. "In Habach ist erst vor sechs Wochen eine neue Unterkunft mit 120 Plätzen für Flüchtlinge eingeweiht worden. Dort sind bisher aber nur 32 Plätze belegt."
Landkreis: "Wir haben die Gemeinde frühzeitig informiert"
Beim Landkreis Weilheim-Schongau sieht man die Lage anders. "Unsere Mitarbeiter haben die Gemeinde frühzeitig mit den nötigen Details über das Vorhaben informiert", erklärt Dominik Detert, Sprecher des Landratsamtes, gegenüber FOCUS online.
Die Einrichtung neuer Notunterkünfte im Landkreis sei erforderlich, weil 500 von insgesamt 3700 Geflüchteten in Gebäuden untergebracht seien, die wirtschaftlich zu teuer wären oder den Standards nicht entsprächen. Detert: "Es handelt sich also vor allem um eine Umverteilung. Wir sind nicht nur mit Seeshaupt, sondern rund 15 weiteren Gemeinden im Gespräch, die alle gut kooperieren."
Detert widerspricht den Angaben des Bürgermeisters, die Regierung Oberbayerns sei nicht involviert gewesen in den Vorgang: "Sie wusste Bescheid." Und auch von einer Kapazität von 120 Plätzen einer neuen Notunterkunft in Habach wisse er nichts: "Die Kapazität liegt bei 32 Plätzen. Wir haben in der vergangenen Woche damit begonnen, die ersten Flüchtlinge dort einzuquartieren".
Landkreis sichert zu: Es werden weniger als 100 weitere Geflüchtete kommen
Auch Egolds Zahl von insgesamt 350 Flüchtlingen, von der bei der ersten Informationsrund mit der Gemeinde die Rede gewesen sein soll, kann Detert nicht bestätigen. "Die Traglufthalle, die wir errichten wollen, fasst 100 Personen. Das war, was wir von Anfang an vorgestellt haben. Es war nie die Rede davon, eine Halle und eine feste Modulbauweise in Seeshaupt zu errichten. Entweder Halle oder Module. Und selbst, wenn die Halle 100 Personen aufnehmen kann, wird sie am Ende nie ausgelastet sein."
Das gelte im Übrigen für die meisten Notunterkünfte, da man die sozialverträglich nicht ohne Rücksicht auf ethnische und religiöse Besonderheiten beliebig belegen könne.
Bei einem gemeinsamen Treffen mit der Gemeinde Seeshaupt solle nun am 12. Mai konkret erörtert werden, "ob eine Traglufthalle oder feste Strukturen als Notunterkunft errichtet werden". Falls die Gemeinde Seeshaupt eine andere Fläche anbieten könne, die sich für die Errichtung der Notunterkunft eigne, werde man dies prüfen, so der Sprecher des Landratsamtes. "Die Gemeinde hat aber - wie alle anderen Gemeinden auch - eine Mitwirkungspflicht, die Unterbringung der Flüchtlinge zu organisieren."
Gemeinden und Landkreise unter Druck
Der Fall erinnert an einen Streit, der - ebenfalls in Bayern - zwischen der Gemeinde Blaichach und dem Landkreis Oberallgäu um die Einquartierung von Flüchtlingen in einem Ex-Hotel entbrannt ist.
Auch dort wirft die Gemeinde dem Landkreis bei diesem sensiblen gesellschaftlichen Thema vor, zu spät und unzureichend informiert zu haben. Und ebenso steht auch dort der Landkreis unter Druck, die Flüchtlinge, die ihm von übergeordneten Behörden zugewiesen werden, von heute auf morgen unterbringen zu müssen.
Dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum in beiden Fällen überraschend viele Informationen offenbar auf der Strecke bleiben oder so konträr interpretiert werden.
Bürgermeister: 30 Flüchtlinge sind "machbare Größe"
Seeshaupt liegt nach Angaben von Bürgermeister Egold jedenfalls mit einer Flüchtlingsquote von knapp zwei Prozent bereits im oberen Mittel der mehr als 30 Gemeinden des Landkreises, was die Last der Unterbringungen betrifft. "Mit der Traglufthalle wären es drei bis vier Prozent, damit würden wir dann zu den drei am meisten belasteten Kommunen gehören."
Die Gemeinde Seeshaupt werde sich einer weiteren Hilfe nicht kategorisch verschließen, bekräftigt der Bürgermeister. "In der geplanten Traglufthalle werden nach unseren Einschätzungen knapp 80 Personen untergebracht werden können, wenn man die Gemeinschaftsräume abzieht. Das ist aber nach wie zu viel." 30 Personen seien eine "machbare Größe", alles andere würde Seeshaupt überlasten.
Der nächste Gesprächstermin mit dem Landkreis am 12. Mai sei jedenfalls ein günstiges Datum, da die Gemeinde einen Tag später in einer Sitzung über das Projekt der neuen Notunterkunft beraten werde.