Alle reden, Frieden ist nah? Quatsch, Trump hat uns in Putins Falle manövriert
Im Ukraine-Krieg folgt eine US-amerikanische Kehrtwende auf die nächste. Trump schmeißt Selenskyj aus dem Weißen Haus, Trump stoppt die US-Militärhilfe für die Ukraine, Trump stoppt die Übermittlung von Geheimdienstinformationen an die Ukraine, Trump will doch keinen Rohstoff-Deal mit der Ukraine – und dann die Rolle(n) rückwärts.
Erst Peitsche, Peitsche, Peitsche! Und dann ein ganz kleines bisschen Zuckerbrot.
Waffenruhe-Vorstoß im Ukraine-Krieg macht Putin nun zum Puppenspieler
Offensichtliches Ziel dieser von außen sehr erratisch anmutenden Strategie der Trump-Administration war es, die Ukrainer an den Verhandlungstisch zu prügeln, also dorthin, wo sie ohnehin seit Jahren hinwollen, um der Invasion Wladimir Putins Einhalt zu gebieten und Kiews derzeit einziger Aufgabe nachzukommen: das Überleben der Ukraine als Nation zu sichern. Klar ist: Trump bezweifelt, dass Selenskyj wirklich den Frieden will.
Die Peitschenhiebe der Amerikaner sollten den Ukrainern klarmachen: Folgt ihr unseren Befehlen nicht, lassen wir euch leiden. Und da saßen sie nun. Gepeinigt und vorgeführt, verraten und fallen gelassen, gab eine geschundene ukrainische Delegation der US-Delegation im saudi-arabischen Dschidda ihr Ok für einen 30-tägigen Waffenstillstand, der schließlich den kriegstreibenden Russen vorgelegt wurde.
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Über diesen angeblichen „Meilenstein“ im über drei Jahre andauernden Krieg wurde seither viel spekuliert. Dass Trump den Ukrainern – offenbar als Belohnung für ihre Folgsamkeit – wieder Militärhilfen zur Verfügung stellt, ließ vielerorts die Beobachter frohlocken.
Es war – und ist – ein Prozess, der Russland zum Begünstigten macht – und Putin zum Puppenspieler.
Ukraine steht genauso da, wie schon vor Wochen – nur schlechter
Um das zu erkennen, braucht es nicht viel. Allein die Frage, welche Vorteile die Ukraine eigentlich durch die Zustimmung zur 30-tägigen Waffenruhe erhalten hat, reicht dafür. Denn die Antwort ist: Letztlich nichts, was ihr nicht bereits vor einigen Wochen zur Verfügung gestanden hätte – noch bevor Trump die Hilfen gestoppt hat.
Klar, man kann aus guten Gründen der Meinung sein, dass allein die Möglichkeit, die Waffen nach drei Jahren Krieg mal zum Schweigen zu bringen, etwas Positives ist. Ja, das Sterben würde erstmal aufhören. Insbesondere für die geschundenen Ukraine, ihre Soldaten, ihre Bürger ein lang ersehnter Moment. Aus dieser Waffenruhe kann natürlich, und vielleicht ist das die Hoffnung und Strategie der Amerikaner, ein Frieden werden.
Ruhe vor dem nächsten (Putin)-Sturm
Doch das ist nur eine Hoffnung. Die Frage ist: Wie nachhaltig ist das? Wenn man sich die harte Realität, Putins Agieren in den vergangenen Jahren, anschaut, ist zu befürchten, dass es dies nicht ist. Russland hat seit 2014 mehrfach vereinbarte Waffenruhen gebrochen – von frühen Vereinbarungen im Donbas (Minsk I/II und Folgetreffen) bis hin zu lokale Feuerpausen, die ganz offensichtlich von den Russen gebrochen wurden.
Jedes Mal wurden die Abmachungen binnen kurzer Zeit wohl durch russisches Militär oder verbündete Kräfte missachtet. Eine Waffenruhe wäre womöglich die Ruhe vor dem nächsten (Putin)-Sturm.
Und wo steht die Ukraine eigentlich heute? Ziemlich genau dort, wo sie auch vor den Gesprächen in Dschidda stand – nur ist ihre Verhandlungsposition und die Lage auf dem Schlachtfeld deutlich schlechter geworden. Dafür hat auch der „Dealmaker“ Trump höchstpersönlich gesorgt.
In der Zeit, in der die Ukraine keine US-Unterstützung erhielt, konnten russische Truppen erhebliche Erfolge erzielen – etwa die massive Zerstörung von Energieinfrastruktur oder Fortschritte in der von Ukrainern besetzten russischen Region Kursk, die in potenziellen Verhandlungen mit Putin als Verhandlungsmasse hätte dienen können. Auch dieses Faustpfand ist nun nahezu futsch.
Für die Ukraine wäre es ein Leben in Angst
Deutlich wurde also lediglich: Auf die Ukraine wurde und wird heftig Druck ausgeübt, dass sie sich zu Zugeständnissen durchringt. Wie etwa, ein Fünftel ihres Staatsterritoriums – für viele Ukrainer nicht weniger als ihre Heimat – an einen aggressiven Despoten zu verschenken, sich selbst vollständig zu entwaffnen und jegliches Bestreben nach Sicherheitsgarantien einzustellen. Für die Ukraine wäre es fortan ein Leben in Lauerstellung, in Unterdrückung und Angst.
Doch Trump hat ja einen Friedensplan! Da steckt ja viel mehr dahinter! Wenn dem tatsächlich so sei, ist es - Stand jetzt - keineswegs einer, der den Ukrainern eine sichere Zukunft beschert.
Von Russland wurde bisher außer der Zustimmung zum Waffenstillstand nichts Konkretes verlangt. Trumps Druckmittel: vage Drohung mit Sanktionen, nichts wirklich Konkretes.
„Es gibt Dinge, die man tun kann, die in finanzieller Hinsicht nicht angenehm wären. Ich kann Dinge in finanzieller Hinsicht tun“, sagte er.
Je öfter man das liest, desto bizarrer klingt es.
Wie der Trump-Plan genau aussehen soll, bleibt weiter schleierhaft. Trump wolle Russland von China lösen, sagen manche. Dafür aber historische Verbündete, die Nato und die Europäer, zu verprellen, und eine freie Nation zu opfern, könnte sich rächen. Putin ist wie aufgezeigt schlicht nicht vertrauenswürdig. Trump wird das nun zu spüren bekommen.
Putin ist jetzt also auf Siegeskurs
Putin sieht sich jetzt also ganz offensichtlich auf Siegeskurs. Seine Reaktion auf den Vorschlag zur Waffenruhe am Donnerstag zeigt bereits, wie unendlich teuer der „Deal“ für die Ukraine werden wird – und auch Trump.
Hier ein kleiner Vorgeschmack:
- Putin stellte eine Frage zu den ukrainischen Soldaten auf russischem Territorium in der Region Kursk: Wäre ihnen ein Rückzug im Rahmen der Waffenruhe gestattet? Oder müssten sie stattdessen ihre Waffen niederlegen und in Kriegsgefangenschaft gehen? Im selben Atemzug machte Putin unmissverständlich klar, dass er nur Letzteres akzeptieren würde.
- Putin äußerte zudem die Befürchtung, dass die Ukraine die 30-tägige Feuerpause dazu nutzen könnte, neue Truppen zu mobilisieren und mit westlicher Unterstützung weitere Waffen ins Land zu holen. Dies, so machte er deutlich, sei für Russland nicht hinnehmbar.
- Putin fragte: „Oder wird es all das nicht geben? Wie kann man uns garantieren, dass das nicht passieren wird?
Putin sagt nein zur Waffenruhe, ohne nein zu sagen. Mehrere ausgewiesene Experten, etwa Carlo Masala und Thomas Jäger, sehen es genau so. Er stellt Fragen, auf die die Trumpschen Verhandler keine Antwort parat haben, außer vielleicht: einfach Ja und Amen zu sagen.
Doch es wird möglicherweise noch dicker kommen. Während Putin mit der „Salamitaktik“ um die Ecke kommt – so formulierte es der Politik-Experte Thomas Jäger im Gespräch mit FOCUS online –, und Trump somit vorführt und auf Zeit spielt, fordern die Gefolgsleute des Puppenspielers bereits die ganz großen Kuchenstücke ein:
- Juri Uschakow, Unterhändler Putins, lehnt die 30-tägige Waffenruhe ab. Seine Begründung: Sie würde der Ukraine nur eine Atempause verschaffen und so ihrer Armee helfen.
- Russland will keine europäischen Friedenstruppen in der Ukraine. Die Begründung: Das wäre ein „direkter bewaffneter Konflikt“.
- Russlands Diplomat Dmitri Peskow forderte die Abschaffung der „illegalen“ Sanktionen gegen Russland.
- Der kremlnahe Kommentator Sergej Markow schlug ein Waffenembargo für die Ukraine vor. Dann könne Moskau einem Waffenstillstand zustimmen.
- Ein weiterer Wunsch Moskaus: Präsidentschaftswahlen in der Ukraine. Nach Aufhebung des Kriegsrechts wären diese möglich. „Der Frieden würde es Russland ermöglichen, die ukrainische Politik zu beeinflussen und mit friedlichen Mitteln für freundschaftliche Beziehungen zu sorgen“, sagte Markov.
Dann gilt – mal wieder –, sich auf das Wort Putins zu verlassen
Egal ob Waffenembargo, eine Aufhebung von Sanktionen, oder Wahlen in der Ukraine: die Vorteile für Russland wären immens. Und dann gilt es – mal wieder –, sich auf das Wort Putins zu verlassen.
Die nächsten Tage werden der Welt offenbaren, wie großartig Trumps „großartige Beziehungen“ zu Putin, mit denen er so oft prahlt, tatsächlich sind. Die Tage werden zeigen, ob diese vermeintliche geistige Verbundenheit tatsächlich etwas bewirkt.
Ja, Trump ist für Überraschungen gut. Ja, vielleicht haben wir Trumps Strategie auch schlicht noch nicht verstanden. Ja, er scheint im Moment der Einzige zu sein, der in den Konflikt zumindest Bewegung bringt.
Aber er hat es mit einem mit allen Wassern gewaschenen, skrupellosen Despoten zu tun. Putin kann Trump gehörig vorführen und ihn in zermürbende Gespräche verstricken. Der Kreml kann Scheibe für Scheibe Bedingungen aufstapeln und in der Zwischenzeit seine strategischen Ziele weiterverfolgen.
Trumpsche Friedensoffensive läuft in eine gefährliche Sackgasse
Diese Trumpsche Friedensoffensive läuft in eine gefährliche Sackgasse.
Der letzte Hoffnungsschimmer ist nun: All das ist falsch und die Ukrainer sind hier die eigentlich schlauen Drahtzieher. Der US-amerikanische Historiker und Professor für strategische Studien Phillips O'Brien beschreibt dieses optimistische Szenario (an das er aber selber nicht mehr glaubt) so:
Die Ukrainer sind es, die die Trump-Administration ausmanövrieren. Wie? Indem sie Trumps Verhandler dazu gebracht haben, dem 30-tägigen Waffenstillstand zuzustimmen, haben sie es zumindest möglich gemacht, dass sich Trump und Putin zerstreiten könnten, meint O'Brien.
Denn wie die Welt mittlerweile weiß, ist Trump nichts wichtiger als sein Ansehen. Das könnte jetzt gehörig unter die Räder kommen. Und bekommt Trump seinen Waffenstillstand nämlich nicht und Putin weigert sich oder seine Forderungen sind selbst für Trump zu weitgehend, könnten die USA tatsächlich umkehren und bereit sein, das zu tun, was Trump androht: härtere Sanktionen gegen Russland zu verhängen.
Die Ukrainer würden dann so ihrem Ziel näherkommen, sich den USA wieder mehr anzunähern und mehr Militärhilfe zu bekommen, und es könnte sogar dazu führen, dass die USA ihre Beziehungen zur Nato wiederbeleben, meint der Experte. Ein geschicktes Manöver das Putin in eine Falle lockt. So die Theorie.
So groß der Wunsch auch sein mag: Zu viele Fakten sprechen heute dagegen.